Texas
Quimper belegte uns mit einem, wie ich gestehen muß, willkommenen Sperrfeuer aus typisch texanischen Vergleichen: »Er war so scharf darauf wie eine Ente auf Maikäfer« und dergleichen mehr. Wie jeder Texaner, der etwas auf sich hält, war er in Gleichnissen aus dem landwirtschaftlichen Bereich bewandert.
Miss Cobb erwies sich, wie ich vermutet hatte, als sehr intelligent und gebildet. Sie war es, die unsere Aufgabe am prägnantesten formulierte: »Wir müssen unseren Schülern und Studenten wie uns selbst in Erinnerung rufen, daß Texas deshalb so bedeutend ist, weil es sich rühmen kann, in seiner Geschichte sieben verschiedene Kulturen vereinigt zu haben.«
»Welche sieben Kulturen?« fragte Rusk.
Nun machte ich eine interessante Entdeckung. Ich hatte mir über die potentiellen Diktatoren Rusk und Quimper Sorgen gemacht. Die wirkliche Gefahr würde jedoch von Miss Cobb ausgehen. Zwar trug sie das langweilige Grau einer Nonne, aber in Wahrheit handelte es sich um das Grau eines Schlachtschiffes, und wenn sie sprach, tat sie es mit stählerner Autorität.
Vor der großen Landkarte im Konferenzsaal stehend, hielt sie uns einen Vortrag, als wenn wir Schulkinder wären: »Ich spreche nicht über regionale Unterschiede. Daß Jefferson hier oben im sumpfigen Nordosten wenig Ähnlichkeit mit dem dreizehnhundert Kilometer entfernten El Paso dort unten in der Wüste hat, sieht jeder. Solche physischen Unterschiede sind leicht zu erkennen. Aber wenn wir die verschiedenen kulturellen Strömungen außer acht lassen, entgeht uns die ganze Identität unseres Staates.
Erstens die Indianer. Sie lebten schon jahrhundertelang hier, bevor einer von uns ins Land kam, aber in unserer Weisheit rotteten wir sie aus; daher war ihr Einfluß minimal. Zweitens, die spanisch-mexikanische Kultur, die zu ignorieren wir uns so große Mühe geben. Drittens, jene dickköpfigen Siedler aus Kentucky und Tennessee, die ursprünglich aus Städten wie New York und Philadelphia kamen und die sich ihre eigene baptistische und methodistische Welt an den Ufern des Brazos schufen. Viertens wir Nachzügler aus dem alten Süden, die wir uns ein schönes Plantagenleben aus Sklaven, Baumwolle und der Sezession zurechtmachten. Fünftens das große Geheimnis der texanischen Historie, nämlich die Schwarzen, deren Geschichte wir verschweigen und deren Beitrag wir leugnen. Sechstens der Cowboy auf seinem Pferd oder in seinem Chevy. Und siebtens diese wunderbaren Deutschen, die im vorigen Jahrhundert hierherkamen, um der Unterdrückung in Europa zu entfliehen. Ja, und dazu zähle ich auch die Tschechen und andere Europäer. Welch herrlichen Beitrag diese Gruppe geleistet hat!«
»Ich hätte die Deutschen niemals einer eigenen Kategorie zugeordnet«, ließ sich Quimper vernehmen, aber Miss Cobb entgegnete sofort: »Bei den ersten Volkszählungen machten sie mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung aus!«
Rusk, der mittlerweile seine Fingernägel studiert hatte, brummte: »Ich bin der Meinung, der spanische Einfluß in diesem Staat ist nicht größer als ein Haufen Katzendreck.«
Professor Garzas Erwiderung war scharf: »Daß Sie so denken, beweist, daß Sie nichts über die ersten dreihundert Jahre der texanischen Geschichte wissen!«
Bevor Rusk darauf antworten konnte, schaltete ich mich mit einer versöhnlichen Bemerkung ein. Aber der Friedensschluß, den ich damit erzielte, konnte nicht verhindern, daß es früher oder später zu einer Konfrontation zwischen Rusk und Garza kommen würde, das wußte ich.
Nun wandte sich Quimper grinsend an Professor Garza. »Der Gouverneur wurde abberufen, bevor er Sie uns richtig vorstellen konnte, Professor. Wie lange lebt denn Ihre Familie schon in Texas?«
Garza beantwortete die Frage, ohne mit der Wimper zu zucken: »Seit etwa vierhundertfünfzig Jahren. Einer meiner Vorfahren begann das Gebiet im Jahre 15 39 zu erforschen.«
Diese Information war so bemerkenswert, daß Miss Cobb sich zu der Frage herabließ: »Wer war dieser erste Garza?«
Der Professor antwortete mit unverhohlenem Stolz: »Ein Analphabet, ein armer Maultiertreiber auf der Straße von Vera Cruz nach Mexico City. Er wurde 1525 geboren, und ich im Jahre 1945; so trennen uns also mehr als vierhundert Jahre. Wenn Sie einer Generation 20,6 Jahre zuerkennen - eine angemessene Zeitspanne, da die Garzas für gewöhnlich schon mit einundzwanzig Jahren Söhne hatten -, ergibt das einundzwanzig Generationen vom ersten Garza bis zu mir.«
Alle starrten
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