Thanatos
drückte seinen Sohn an sich. Than hatte es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass er sie in den Monaten, als ihr Sohn in ihr herangewachsen war, nur zu gern verwöhnt hätte. Ach zum Teufel, er hätte sie für den Rest ihres Lebens verwöhnt. Er hätte ihr alles gegeben, was sie wollte.
Jetzt konnte er ihr höchstens noch Frieden schenken.
39
Aus dem Nebel vor Thanatos erhob sich ein gewaltiger, ebenholzschwarzer Tempel im griechischen Stil. Umgeben war er von geschwärzten Säulen und Gebäuden, die ihm alle seltsam vertraut erschienen – aber er erkannte sie doch nicht wirklich. Als sich der Nebel nach ein paar Schritten verzog, wurde ihm klar, dass dies Athen war. Nicht das echte Athen, sondern eine Imitation, in der alles durch Tod und Bösartigkeit korrumpiert war.
Hier sollte er sich eigentlich wie zu Hause fühlen, dachte er verbittert.
Idess war sofort bereit gewesen, ihm zu helfen. Jetzt berührte sie seinen Rücken mit einer Geste voll Stärke und Trost, während er Regans Leiche in den Armen und ihre Seele in seinem Panzer trug.
»Danke, dass du mich vor Pestilence gerettet hast.«
Eigentlich wollte er darüber nicht sprechen, aber sein Bruder hatte sie gefoltert, und sie verdiente mehr als Schweigen. »Es tut mir leid, was er dir angetan hat. Pestilence war genauso versessen darauf, deinen Vater zu finden, wie ich.« Pestilence’ Ziel war vermutlich gewesen, einerseits ihren Vater zu vernichten und andererseits Zugang zu Sheoul-gra zu erlangen. Das gehörte wohl zu seinem Plan, alles loszuwerden, was an seine frühere Persönlichkeit erinnerte.
»Warum wolltest du Azagoth finden?«
Than starrte ausdruckslos vor sich her. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr.« Ja, er wollte seinem Vater aus vielerlei Gründen gegenüberstehen, aber diese Gründe waren inzwischen nicht einmal mehr annähernd wichtig.
Idess’ Miene wurde hart. »Pestilence hätte ihn niemals gefunden. Ich hätte nichts verraten.« Ihre Stärke erinnerte ihn an Regan, und er wäre auf dem Weg über die riesigen Stufen, die zum Tempel hinaufführten, beinahe gestürzt.
»Bist du sicher, dass ich ihre Leiche mitbringen sollte?«, fragte er heiser.
Idess’ trauriges Lächeln hätte ihn fast dazu gebracht, erneut zusammenzubrechen. Nein, er hatte es nicht gut aufgenommen, als sie ihm das gesagt hatte; genauso wenig wie die Tatsache, dass er seinen Sohn hatte loslassen müssen, um seine Festung zu verlassen. Der Junge war jetzt ein Teil von Thans Herz, und sich von ihm zu entfernen fühlte sich an, als ob es seine Arbeit aufgeben würde.
»Nein«, gab sie zu, »aber wenn er dich mit ihr zusammen sieht, erscheint ihm dein Schmerz vielleicht etwas … realer.« Sie ging weiter. »Er ist nicht gerade das warmherzigste Individuum, darum musst du jeden erdenklichen Vorteil ausnutzen.«
Die gigantischen Doppeltüren öffneten sich, und dahinter erstreckten sich endlose Gänge. Alles war schwarz, genau wie draußen, nur dass innerhalb des Tempels sämtliche Oberflächen glänzten. Alle Gemächer und Hallen waren mit Statuen von Menschen und Dämonen geschmückt, die offensichtlich enorme Schmerzen litten, und der Brunnen, den sie in der riesigen Vorhalle passierten, spie Blut.
»Dein Vater hat einen sehr interessanten Kunstgeschmack«, murmelte er.
»›Interessant‹ kann man es auch nennen.« Sie führte ihn durch ein Labyrinth aus Gängen, die immer gleich aussahen. »Hast du dir schon einen Namen überlegt?«
»Namen?«
»Für deinen Sohn.« Ihr Lächeln war warm. »Er ist wunderschön.«
»Ja«, brachte er mit erstickter Stimme hervor. »Das ist er. Und nein, wir hatten nie über Namen gesprochen.«
»Ich bin sicher, was auch immer du wählst, wird perfekt sein.« Sie blieb vor einer Tür stehen – woher sie wusste, welche von den Hunderten identischer Türen, an denen sie vorbeigekommen waren, die richtige war, war ihm schleierhaft – und packte den Griff. »Bist du bereit?«
Als wüsste Regan, worum es ging, ließ sie ihn ihre Gegenwart spüren. Wärme breitete sich von seinem Panzer ausgehend aus und legte sich auf seine Haut. »So bereit, wie ich nur sein kann.«
Idess öffnete die Tür, und sie traten über die Schwelle in ein helles, buntes Büro. Ein großer Mann mit schwarzem Haar stand vor dem Torbogen. Er sah aus, als wäre er aus der Seite eines Tunnels ausgeschnitten worden, sodass er die Seelen toter Dämonen sehen konnte, die von seinen Lakaien, den Senslingen, wie am Fließband vorbeigeführt wurden. Der
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