Thanatos
zustand. Aber während er Wormwood in seiner Hand wog, hatte er das Gefühl, er wüsste, welche Entscheidung sie treffen würden. Und es war nicht die, die Reaver getroffen hätte.
Er schloss die Augen und beschloss, etwas zu machen, von dem er geschworen hatte, es niemals zu tun.
Er würde eine Regel der Wachen brechen.
Und lieber Gott – dafür würde er bezahlen müssen.
37
Thanatos hätte nicht einmal dann schneller rennen können, wenn er ein Gepard gewesen wäre. Er platzte ins Schlafzimmer, wo Eidolon wartete, und legte Regan aufs Bett. »Das Baby kommt.«
Das wusste der Arzt natürlich, aber Thanatos war vollkommen neben der Spur. Wenigstens sah es so aus, als ob die Blutung aufgehört hätte, und das musste doch einfach eine gute Nachricht sein.
Regan schrie, als würde man sie vierteilen, und sein Herz litt mit ihr mit. Auch wenn die Zeit drängte und er es sich eigentlich nicht leisten konnte, küsste er ihre schweißüberströmte Stirn. Ihre Augen waren wild und fiebernd, und sie klammerte sich mit solcher Verzweiflung an seinen Arm, dass seine Augen brannten.
»Da ist schon der Kopf.« Eidolons behandschuhte Hände umfassten das Köpfchen, als er versuchte, das Kind zu holen, ohne mit der Mutter in Kontakt zu treten. »Hol tief Luft, Regan, und dann musst du noch einmal pressen.«
Than riss den Blick von dem faszinierenden Anblick der Geburt seines Sohns los und sah Regan an, deren Blick so fest an ihm hing wie ihre Hand an seiner. »Wir haben Pestilence«, versicherte er ihr mit rauer Stimme. »Alles wird gut.«
Kraftlos nickte sie ihm zu und ließ ihn los. »Geh. Rette unseren Sohn.«
Rette unseren Sohn.
Nicht: Rette die Welt.
Bitte, bitte, Gott, lass Regan und das Baby alles gut überstehen, weil ich diese Frau zum Leben genauso brauche wie die Luft zum Atmen.
Als Lore mit Idess hereinkam, eilte Than zu seiner Kommode, schnappte sich Deliverance und stürmte wie ein Wahnsinniger in die große Halle. Ares und Limos hielten Pestilence fest, auch wenn er sich im Moment nicht zu bewegen schien.
Thanatos’ Herz hämmerte, sein Puls dröhnte ihm in den Ohren, als er sich auf seinen Bruder warf und rittlings auf seine Hüften setzte. Jetzt war es so weit. So würde es enden.
Limos’ Blick fing seinen auf. »Sein Finger hat gezuckt. Die Wirkung lässt nach.«
»Ich sehe es auch«, sagte Ares. »Sein Fuß bewegt sich.«
Thanatos schluckte trocken. In seinem Kopf wirbelten tausend Gedanken durcheinander. Wie ging es Regan? Wie ging es dem Baby? Ob sie Angst hatten? Würde er tatsächlich seinen eigenen Bruder töten?
Die letzte Frage beantwortete sich von selbst; nur ein flüchtiger Gedanke, der vielleicht nur in seinem Kopf auftauchte, weil es so sein sollte. Aber er war nie zuvor dermaßen bereit gewesen, etwas zu tun. Er würde jeden umbringen, um seine Frau und sein Kind zu retten.
Seine Frau? Oh ja, denn wenn sie das alles erst einmal überstanden hatten, würde er sie heiraten.
Bitte, bitte, lass sie es überstehen.
»Mist.«
Ares’ Flüstern riss Than aus seinen Gedanken. Er blickte in Pestilence’ Augen … Augen, die volles Bewusstsein verrieten. Spöttisch. Sogar sein Mund hatte sich zu einem Lächeln verzogen. Zwischen Thans Schenkeln begannen sich Pestilence’ Beine zu bewegen.
Und dann, klar und deutlich in der angespannten Stille der Festung zu hören, der reine, gesunde Klang eines Babyschreis.
In einem glatten Bogen führte Thanatos Deliverance nach unten und vergrub ihn in Pestilence’ Herz. Der Schrei des Babys verstummte. Pestilence schnappte nach Luft. Von seinen Lippen erhob sich ein Nebel aus Bluttröpfchen. Seine Augen, in denen alle Bosheit der Welt zu leuchten schien, wurden glasig. In diesem Moment wusste Thanatos, dass Pestilence fort war. An seiner Stelle blickte Reseph Than an.
»D-Danke.« Resephs Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber die Erleichterung in ihr war überdeutlich.
Und dann war er fort.
Resephs Körper löste sich unter Than auf, brach ein, bis nur noch die Kleidung übrig war. Selbst Deliverance war verschwunden.
Ich habe meinen Bruder getötet.
Thans Kehle war wie zugeschnürt. Damit hatte er nicht gerechnet. Er war darauf vorbereitet gewesen – ja, er hatte sich sogar darauf gefreut –, Pestilence umzubringen. Aber nicht Reseph. Lieber Gott, nicht Reseph.
Alles war still. Es herrschte eine geradezu unglaubliche Stille. Sollte es so still sein, wenn man gerade den Bruder getötet hatte, den man Tausende von Jahren geliebt
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