The American Monstershow in Germany
hielt seinen Arm, so ruhig er konnte. Von seinem Platz aus hatte er einen guten Blick auf eine der Ausfallstraßen zur Stadt. Sie war restlos verstopft. Offenbar gab es weiter stadtauswärts einen Unfall, der Verkehr hatte sich nunmehr bis hierher zurückgestaut. Keiner der Autoinsassen war bereit zu warten, bis der Stau sich auflösen würde, alle verließen panikartig ihre Fahrzeuge und setzten ihre Flucht aus der Stadt zu Fuß fort. Tauben kreisten über den Flüchtigen und stießen immer wieder auf einzelne in ihren Reihen hinab. Georg sah, dass sich eine einzelne Taube mit einem besonders großen Brocken im Schnabel von den anderen absetzte. Er wusste nicht, dass es eine menschliche Zunge war, aber der Anblick erfüllte ihn dennoch mit so viel Ekel, dass er sich vom Fenster abwenden musste.
Eine Ratte steckte den Kopf durch ein Loch in der Tür. Ein klatschendes Geräusch ertönte, als Pits Spatenblatt direkt auf das Tier niedersauste. Das scharfe Blatt trennte den pelzigen Körper, Blut und Gedärm flossen auf den Boden.
„ So geht man mit Ungeziefer um!“ rief Pit und warf sich in Siegerpose in die Brust. Er sah nicht, was Georg sah, der wieder einen Blick aus dem Fenster gewagt hatte. Er sah nicht die Tausenden von Ratten, die inzwischen auf die Baustelle drängten.
‚ Ob alle gemeinsam die Baracke umstürzen könnten?‘ ging es Georg durch den Kopf, doch der Gedanke war so absurd, dass er ihn sofort wieder verwarf.
Es scharrte immer wilder und aufgebrachter an der Tür. Die draußen nachdrängenden Ratten witterten ihre tote Gefährtin. Sie witterten vielleicht auch den Angstschweiß einiger der Männer in der Baracke, und das stachelte sie an.
Über der Baracke kreisten die Tauben und erwarteten das Erscheinen der Menschen. Zwei hatten sich bei der Leiche des Kranführers niedergelassen und genossen dort einen Imbiss.
Georg sah, dass sich die Ratten inzwischen vor dem Fenster versammelten. Er erhielt nur Einblick in das Vorgehen der Tiere auf der einen Barackenseite, doch vermutete er nicht zu Unrecht, dass sich auf der anderen Seite Ähnliches abspielte.
‚ Wenn das King erleben könnte‘, jubelte plötzlich eine Stimme in seinem Hirn.
Als die ersten Tiere gegen die Scheiben ansprangen, war Georg hoch erfreut. Dies war die Story, die er seinem Lieblingsautor widmen würde.
Einige der Männer erschraken bei dem dumpfen Knall, der sich anhörte, als würde ein Leinensack voll Scheiße gegen das Fenster geworfen. Immer öfter war das Klopfen zu hören, bis es in ein wahres Prasseln überging. Tausende und abertausende Male prallten graubraune Leinensäcke voll Scheiße gegen die Fenster, fielen herunter und nahmen erneut Anlauf, bis es endlich vollbracht war, bis sich ein hoher, spitzer Ton in das dumpfe Klopfen mischte, als eine der Scheiben zerbarst.
Der Damm war gebrochen. Direkt gegenüber von Georgs Ausguck war der Damm zersplittert. Dort strömte nun eine Flutwelle von Leibern herein und fiel über die Männer her. Gegenwehr war in Anbetracht der Vielzahl der Angreifer und der Enge der Baracke so gut wie unmöglich. Pit versuchte verzweifelt, mit dem Spaten die angreifenden Tiere zurückzudrängen, doch wirkte er wie Don Quichote im Kampf mit den Windmühlen. Er war ein Mann, der mit einer Schöpfkelle den Ozean leerpumpen wollte.
Georgs Schmerzen waren verflogen. Glück durchflutete sein Herz und der Wahnsinn seinen Geist. Während die Männer aus den nun von Ratten okkupierten Baracken ins Freie stürzten, sah Georg ihnen zu und dachte an den Ruhm, den er mit dieser Geschichte ernten würde.
Oder war dies alles nur ein Film? Gab es diese Geschichte schon, und er, Georg, war in die Dreharbeiten zum Film hineingeraten?
‚ Dann wird es Zeit, mit den Leuten über die Gage zu sprechen‘, sagte er sich.
Die Bauarbeiter flüchteten inzwischen in Richtung Ausfallstraße. Hinter ihnen li efen in possierlich anmutenden Sprüngen die Ratten, die Tauben waren über ihnen. Georg kam diese Szene bekannt vor. ‚Es gibt diese Story also schon‘, ging es ihm durch den Kopf.
„ Ich werde an King schreiben, ob es seine Geschichte ist“, überlegte Georg laut. Er erhob sich langsam von seinem Fensterplatz. Er wollte nach draußen. Er wollte Stephen King die Hände schütteln, der da draußen auf ihn wartete...
Als er an der Tür war, fielen die Ratten über ihn her.
Die Schau muss weitergehen
Es waren noch fünf Minuten bis zum Sendebeginn. Martin betrat das Studio. Sofort spürte er, dass
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