The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
drängend in mein Fleisch. »Zeigen wir es ihnen. Zeigen wir ihnen, dass es auch nach zweihundert Jahren noch etwas gibt, das sie fürchten sollten.«
In diesem Moment sah ich nicht mehr sein Gesicht vor mir. Ich sah Finn an jenem Tag in Dublin, als er mir sagte, wir müssten kämpfen.
»Vielleicht hast du recht.«
»Ich weiß, dass es so ist.« Seine Lippen verzogen sich zu einem müden Lächeln. »Was meinst du, wie viele Leute brauchen wir?«
»Fang mit jenen an, die einen triftigen Grund haben, die Rephaim zu hassen – mit den Clowns, den Gelbjacken, den Amaurotikern. Ella, Felix und Ivy. Dann arbeite dich zu den Weißjacken vor.«
»Und was soll ich ihnen sagen?«
»Erst mal gar nichts. Stell ihnen Fragen, finde heraus, ob sie überhaupt einen Fluchtversuch wagen würden.«
Julians Blick wanderte zu Cyril.
»Nein.« Der schüttelte entschieden den Kopf. Hinter den gesprungenen Brillengläsern glänzten seine Augen vor Angst. »Ohne mich. Keine Chance, Bruder. Die werden uns umbringen. Sie sind unsterblich.«
»Sie sind nicht unsterblich.« Ich beobachtete die kleine Flamme des Spiritusschälchens. »Man kann sie verwunden. Das hat mir der Wächter gesagt.«
»Er könnte lügen «, widersprach Julian mit Nachdruck. »Immerhin reden wir hier über Nashiras Liebsten. Den Blutsgefährten, ihre rechte Hand. Warum glaubst du auch nur ein Wort von dem, was er sagt?«
»Weil ich denke, dass er sich schon einmal gegen sie aufgelehnt hat. Ich denke, er ist einer der Gezeichneten.«
»Der was?«
»Das ist eine Gruppe von Rephs, von denen die Rebellion während der XVIII . Knochenernte ausging. Sie wurden gefoltert und mit Narben gezeichnet.«
»Wo hast du das denn her?«
»Von einem Knochensammler, XX -12.«
»Und du traust einem Knochensammler?«
»Nein, aber er hat mir den Schrein gezeigt, der für die Opfer errichtet wurde.«
»Und du glaubst, der Wächter wäre einer dieser ›Gezeichneten‹«, fasste Julian zusammen. Ich nickte. »Doch die Narben hast du nicht gesehen, oder?«
»Nein. Ich denke, er versteckt sie.«
»Du ›denkst‹, Paige. Das reicht nicht aus.«
Bevor ich antworten konnte, stürmte jemand in die Hütte. Sofort erstarrte ich.
Der Oberaufseher.
»Nanu, nanu.« Seine nachgezeichneten Augenbrauen zogen sich in die Höhe. »Anscheinend haben wir einen Schwindler in unseren Reihen. Wer war auf der Bühne, wenn XIX -1 die ganze Zeit hier drin gelegen hat?«
Ich stand auf, dicht gefolgt von Julian. »Sie ist in Bewusstseinsstarre verfallen«, erklärte ich und sah dem Oberaufseher dreist in die Augen. »In diesem Zustand kann sie nicht auftreten.«
Der Oberaufseher kniete sich neben Liss und fühlte ihre Stirn. Sie zuckte vor der Berührung zurück. »Oje.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Das ist ja schrecklich. Schreckliche Sache. Ich darf 1 nicht verlieren. Meine unvergleichliche 1.«
Liss begann zu schreien. Unter schweren Krämpfen, die ihren ganzen Körper erfassten, drangen die Laute aus ihrer Kehle. »Geh weg«, keuchte sie. »Geh weg!« Julian packte den Oberaufseher an der Schulter und stieß ihn zurück.
»Fass sie nicht an.«
Ich stellte mich neben ihn. Cyril war zwar aufgestanden, wippte aber nur nervös vor und zurück. Im ersten Moment wirkte der Oberaufseher völlig verblüfft. Dann fing er an zu lachen. Er erhob sich und applaudierte entzückt, bevor eine der in Leder gekleideten Hände in seine Jackentasche wanderte. »Sehe ich da etwa einen Hauch von Rebellion, Kinder? Habe ich zwei hungrige Wölfe unter meine Schafe gelassen?«
Mit einer eleganten Geste förderte er eine Peitsche zutage. Offenbar war sie ursprünglich für den Einsatz bei Tieren gedacht gewesen.
»Ich werde nicht zulassen, dass ihr 1 korrumpiert. Oder sonst jemanden von meiner Brut.« Er schnalzte die Peitsche in meine Richtung. »Noch magst du keine Akrobatin sein, 40, aber das wird sich ändern. Verschwinde zu deinem Hüter.«
»Nein.«
»Keiner von uns wird gehen.« Wilde Entschlossenheit breitete sich auf Julians Miene aus. »Wir werden Liss nicht im Stich lassen.«
Der Oberaufseher schlug zu. Julian taumelte. Aus einer Platzwunde an seiner Wange tropfte Blut. »Du gehörst jetzt mir, Junge, vergiss das besser nicht.« Ich stellte mich schulterbreit hin. Das fiese Grinsen richtete sich auf mich. »Das ist vollkommen unnötig, 40. Ich werde mich um 1 kümmern.«
»Du kannst mich nicht zwingen zu gehen. Ich bin Arcturus unterstellt.« Mich würde er nicht so leicht
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