The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
»Es freut mich, dass der Blutsgefährte mich für würdig erachtet, die rote Tunika zu tragen. Ich habe in den Prüfungen stets versucht, mein Bestes zu geben.«
»Ohne Zweifel. Doch wir sollten nicht selbstgefällig werden.« Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück. »Vor dem Willkommensfestessen habe ich noch einige Fragen an dich.«
»Willkommensessen?«
»Jawohl. Herzlichen Glückwunsch, 40, du bist nun eine Rotjacke. Deshalb sollst du deinen neuen Kollegen vorgestellt werden, die mir alle treu ergeben sind. Eine Loyalität, die sogar die gegenüber ihren Hütern übersteigt.«
Mir rauschte das Blut in den Ohren. Rotjacke. Knochensammler. Ich hatte den höchsten Rang in Sheol I erreicht, war in den inneren Kreis der Nashira Sargas aufgestiegen.
»Ich möchte mit dir über Arcturus sprechen.« Nashiras Blick wanderte zum Kamin. »Du hast das Quartier mit ihm geteilt.«
»Ich habe ein eigenes Zimmer im Obergeschoss.«
»Hat er dich je gebeten, es zu verlassen?«
»Nur für das Training.«
»Sonst nicht? Vielleicht, um sich ein wenig mit dir zu unterhalten?«
»Er hat kein Interesse an einem Gespräch mit mir«, sagte ich. »Was könnte ich schon sagen, was für den Blutsgefährten von Belang wäre?«
»Ein ausgezeichnetes Argument.«
Ich biss mir auf die Zunge. Sie hatte keine Ahnung, wie groß sein Interesse an mir war, wie viel er mir direkt vor ihrer Nase schon beigebracht hatte.
»Ich nehme an, du hast dich in seinen Räumlichkeiten umgesehen. Gibt es im Founder’s Tower irgendetwas, das dich beunruhigt? Irgendetwas Ungewöhnliches?«
»Er hat ein paar Pflanzenextrakte, die ich nicht kenne.«
»Pflanzen.«
Als ich nickte, griff sie nach etwas, das vor ihr auf dem Tisch lag. Es war eine Brosche, die schon stark angelaufen war, und deren Form identisch mit der Blume auf der Schnupftabakdose des Wächters war. »Hast du irgendwo im Founder’s Tower einmal dieses Symbol gesehen?«
»Nein.«
»Du scheinst dir sehr sicher zu sein.«
»Ich bin mir sicher. Das da habe ich noch nie gesehen.«
Sie starrte mir direkt in die Augen, und ich versuchte, ihrem Blick standzuhalten.
Irgendwo fiel eine Tür zu. Wenig später marschierte eine Reihe von Rotjacken in den Raum. Sie wurden von einem männlichen Reph begleitet, den ich nicht kannte. »Willkommen, meine Freunde.« Nashira signalisierte ihnen, näher zu kommen. »Bitte, setzt euch.«
Der Rephait drückte eine Faust an die Brust und ging hinaus. Ich musterte die Neuankömmlinge: zwanzig Knochensammler, alle gut genährt und frisch geschrubbt. Anscheinend traten sie immer nur in Gruppen auf. Die Veteranen aus der XIX . Knochenernte standen ganz vorne, unter anderem Kathryn sowie 16 und 17. Ganz hinten in der Reihe entdeckte ich Carl in seiner roten Tunika. Seine Haare waren gekämmt und gescheitelt. Als er mich sah, riss er die Augen auf und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Wahrscheinlich hatte er am Tisch der Herrscherin noch nie jemanden in der rosa Tunika gesehen.
Der Reihe nach nahmen sie Platz, sodass Carl gezwungen war, sich auf den letzten verfügbaren Stuhl zu setzen, mir gegenüber. David war ebenfalls da, allerdings einige Plätze entfernt. Er hatte eine frische Verletzung am Kopf, die mit einigen Wundverschlussstreifen behandelt worden war. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er die Totenmasken an der Wand.
»Es freut mich, dass ihr mir heute Abend alle Gesellschaft leisten könnt. Dank eures wiederholten Einsatzes kam es diese Woche zu keinerlei nennenswerten Angriffen der Emim.« Nashira sah ihre Gäste der Reihe nach an. »Doch trotz dieser Tatsache dürfen wir nicht vergessen, dass diese Kreaturen eine ständige Bedrohung darstellen. Gegen ihre Brutalität gibt es kein Mittel – und dank der zerstörten Schwelle auch keine Möglichkeit – , sie in der Unterwelt einzusperren. Ihr seid alles, was zwischen diesen Jägern und ihrer Beute steht.«
Sie nickten. Alle glaubten ihr. Na ja, David vielleicht nicht. Sein Blick ruhte auf einer der Masken, und er lächelte verstohlen.
Über den Tisch hinweg fing ich Kathryns Blick auf. Über eine Gesichtshälfte zog sich ein riesiger Bluterguss. 16 und 17 ignorierten mich völlig. Gut so, denn falls sie mich ansahen, konnte ich mich vielleicht nicht mehr davon abhalten, ein Messer nach ihnen zu werfen. Liss lag immer noch sterbend da draußen, und das war allein ihre Schuld.
»22.« Nashira wandte sich an einen Knochensammler, der rechts von ihr saß. »Wie geht es 11? Soweit ich
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