The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
abstößt.«
»Wir müssen es versuchen.« Ich wandte mich an Cyril. »Gibt es hier keine anderen Kartenleger?«
»Alle tot.«
»Und selbst wenn er sich irrt, können wir nicht einem anderen die Karten wegnehmen«, sagte Julian, sehr leise nun. »Das wäre schlimmer als Mord.«
»Dann stehlen wir welche von den Rephs«, entschied ich. Verbrechen war mein Spezialgebiet. »Ich werde in das Haus einbrechen. Dort muss es doch solche Sachen geben.«
»Dann stirbst du«, erklärte Cyril vollkommen unbeteiligt.
»Ich habe einen Summer überlebt. Da schaffe ich das auch noch.«
Julian sah mich überrascht an. »Du hast einen gesehen?«
»Sie leben im Wald. Der Wächter hat mich einem von ihnen ausgeliefert.«
»Soll das etwa heißen, du hast deine Prüfungen bestanden?« Er musterte mich voller Misstrauen. »Bist du jetzt eine Rotjacke?«
»Keine Ahnung. Ich dachte schon, aber … «, vielsagend zupfte ich an meiner Tunika, »das hier sieht nicht aus wie Rot.«
»Wie beruhigend.« Er zögerte kurz. »Wie war er so? Der Summer, meine ich.«
»Schnell, aggressiv. Viel konnte ich nicht sehen.« Mit einem Blick auf sein neues Outfit fragte ich: »Bist du noch keinem begegnet?«
Julian grinste schwach. »Aludra hat mich rausgeworfen, weil ich wieder einmal die Sperrstunde verpasst habe. Frisch gebackener Clown, fürchte ich.«
Cyril zitterte am ganzen Körper. »Ihr Biss bringt den Tod«, flüsterte er. »Du solltest da nicht mehr rausgehen.«
»Mir wird vielleicht nichts anderes übrig bleiben«, erwiderte ich. Er stützte die Stirn auf seine Unterarme. »Gib mir das Laken, Jules.«
Der gehorchte. Ich deckte Liss zu, die gar nicht mehr aufhörte zu zittern. In dem Versuch, sie etwas aufzuwärmen, rieb ich ihre eiskalten Arme. An ihren Fingern hatten sich große Blasen gebildet.
»Hast du das ernst gemeint, Paige?«, hakte Julian nach. »Das mit dem Einbruch im Haus?«
»Der Wächter sagte, dort werden diverse Dinge aufbewahrt. Wie ein geheimes Lager. Dinge, die wir nicht zu Gesicht bekommen sollen. Vielleicht ja auch Brandsalbe.«
»Und ist dir mal der Gedanke gekommen, dass es dann vielleicht bewacht wird? Oder dass der Wächter gelogen haben könnte?«
»Das Risiko gehe ich ein.«
Er seufzte schwer. »Dann kann ich dich wohl nicht aufhalten. Was machst du, wenn du erst mal drin bist?«
»Ich werde so viel mitnehmen, wie ich kann. Alles, womit ich mich irgendwie verteidigen kann … Dann werde ich abhauen. Begleiter sind herzlich willkommen, ansonsten gehe ich allein. Aber was auch passiert: Ich werde nicht für den Rest meines Lebens hier verrotten.«
»Tu es nicht«, schaltete sich Cyril wieder ein. »Das überlebst du nicht. Die anderen vor dir sind alle gestorben. Die haben die Summer auch gefressen. Und dasselbe werden sie mit dir machen.«
»Bitte, Cyril, das reicht jetzt«, mahnte Julian, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Geh du zum Haus, Paige. Ich werde versuchen, ein paar Truppen zusammenzutrommeln.«
»Was für Truppen?«
»Komm schon.« Die kleine Flamme spiegelte sich in seinen Augen. »Du wirst doch nicht ernsthaft verschwinden wollen, ohne zu kämpfen, oder?«
Verwirrt zog ich die Augenbrauen hoch. »Kämpfen?«
»Du kannst nicht einfach abhauen und so tun, als wäre das alles nicht passiert. Scion macht das schon seit zwei Jahrhunderten, Paige. Das wird nicht einfach aufhören. Was sollte sie also davon abhalten, dich direkt wieder hierher zurückzuschicken, sobald du SciLo erreichst?«
Da hatte er nicht unrecht. »Was schlägst du vor?«
»Einen Gefängnisaufstand. Alle kommen raus. Wir lassen ihnen keine Seher mehr da, von denen sie sich nähren können.«
»In dieser Kolonie leben über zweihundert Menschen. Wir können nicht einfach so hier rausspazieren. Außerdem gibt es im Wald Landminen.« Ich zog die Knie ans Kinn. »Du weißt doch, was während der XVIII . Knochenernte passiert ist. Ich will nicht die Verantwortung dafür übernehmen, wenn so viele Leute sterben.«
»Das musst du auch nicht. Die Leute wollen weg, Paige. Ihnen fehlt nur der Mut dazu, bis jetzt. Wenn es uns gelingt, ein entsprechend großes Ablenkungsmanöver zu starten, können wir sie durch den Wald führen.« Er legte mir eine Hand auf den Arm. »Du kommst doch aus dem Syndikat. Aus Irland. Meinst du nicht, es ist an der Zeit, dass wir den Rephs beweisen, wer in Wahrheit am Drücker sitzt? Und dass sie sich nicht einfach so an uns bedienen können?« Als ich nicht antwortete, drückte er seine Finger
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