The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
roten Stille. Also hob ich das Kinn, als seine Lippen sich auf meine drückten.
Ich hatte schon immer gewusst, dass es keinen Himmel gab. Unzählige Male hatte Jaxon es mir gesagt, und selbst der Wächter war dieser Meinung. Es gab nur ein weißes Licht, das finale Leuchten: ein letzter Ruhepunkt am Rande des Bewusstseins, ein Ort, an dem schließlich alle Dinge zusammenkamen. Und jenseits davon … wer weiß? Hätte es allerdings einen Himmel gegeben, hätte er sich bestimmt so angefühlt. Als würde ich mit bloßen Händen in den Æther greifen. Damit hätte ich niemals gerechnet, nicht bei ihm. Eigentlich bei niemandem. Ich schlang die Arme um ihn und drückte mich dichter an ihn. Gleichzeitig umfasste er mit einer Hand meinen Nacken. Ich spürte jede Schwiele in seiner Handfläche.
Sein Atem war heiß. Es war ein langsamer Kuss. Nicht aufhören, nicht aufhören . Das war der einzige Gedanke, zu dem ich noch fähig war: Nicht aufhören . Seine Hände glitten über meine Taille, meinen Rücken, dann packte er mich und hob mich auf eine der Kisten. Ich drückte eine Hand gegen seinen Hals und spürte seinen schweren Herzschlag. Sein Rhythmus. Mein Rhythmus.
Meine Haut fing an zu glühen, aber ich konnte nicht aufhören. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben empfunden, dieses Gefühl, das in meiner Brust aufstieg, diese überwältigende Sehnsucht, berührt zu werden. Sanft öffneten seine Lippen meine. Irgendwann musste ich die Augen geschlossen haben, denn nun riss ich sie ruckartig wieder auf. Stopp. Paige, hör auf . Ich wollte meinen Kopf zurückziehen, und ein Wort entkam mir: War es »Nein«, war es »Ja«? War es sein Name? Er umfasste mit beiden Händen mein Gesicht und zeichnete die Konturen meiner Lippen nach. Sein Daumen glitt über meine Wange. Dann drückte er seine Stirn an meine. Meine Traumlandschaft verbrannte. Er setzte meine Mohnblumen in Flammen. Nicht aufhören. Nicht aufhören .
Es war nur ein kurzer Moment. Ich sah ihn an, und er sah mich an. Nur ein einziger Moment. Eine Entscheidung – ich traf sie, er traf sie. Dann küsste er mich wieder, diesmal stürmischer. Ich ließ es zu. Sein Arm umfasste mich und hob mich hoch. Und ich wollte es. Aufrichtig. So sehr, fast schon zu sehr. Ich vergrub die Hände in seinen Haaren und hielt mich an seinem Nacken fest. Nicht aufhören . Nun waren seine Lippen auf meinem Mund, meinen Augen, meinen Schultern und an meiner Kehle. Nicht aufhören. Mit festen, unerschrockenen Bewegungen streichelte er meine Oberschenkel, ohne jede Unsicherheit. In mir erwachte etwas.
Ich öffnete den Verschluss von seinem Hemd, ließ meine Finger über seine Brust gleiten. Küsste seinen Hals, während er meine Haare packte. Nicht aufhören . Noch nie hatte ich seine nackte Haut berührt. Sie war warm und weich und weckte den Wunsch in mir, auch den Rest von ihm zu erkunden. Also tastete ich mich unter seinem Hemd vor bis zum Rücken. Spürte die Narben unter den Fingerkuppen. Lange, grauenhafte Schwellungen. Ich hatte immer gewusst, dass sie dort waren, die Narben des Verräters. Er verkrampfte sich spürbar. »Paige«, sagte er sanft, aber ich gab nicht nach. Ein leises Stöhnen stieg aus seiner Kehle auf, dann küsste er mich wieder.
Ich würde ihn nicht verraten. Die XVIII . Knochenernte war Vergangenheit, und sie würde sich nicht wiederholen.
Zweihundert Jahre waren mehr als genug.
Mein sechster Sinn riss mich aus diesem tranceähnlichen Zustand, und ich wich zurück. Der Wächter umschlang mit beiden Händen meine Taille und drückte mich an sich.
Nashira war hier, halb verborgen in den Schatten. Mein Herz pochte quälend langsam.
Lauf , befahl mein benommenes Gehirn, aber das hätte keinen Zweck gehabt. Sie hatte alles gesehen. Selbst jetzt sah sie noch alles: den glänzenden Schweiß auf meiner Haut, meine geschwollenen Lippen, die wirren Haare. Seine Hände lagen noch immer auf meinen Hüften. Sein Hemd war offen. Meine Finger klebten förmlich an seinem Körper.
Ich konnte sie nicht wegziehen. Konnte nicht einmal den Blick abwenden.
Mit einer entschlossenen Bewegung schob sich der Wächter vor mich. »Ich habe sie gezwungen«, erklärte er mit rauer Stimme.
Nashira schwieg.
Endlich trat sie in den Lichtstrahl, der durch die Vorhänge drang. Sie trug etwas in der Hand: die Glasglocke. Ein greller Ton füllte meine Ohren, als ich auf das Ding starrte. In seinem Inneren befand sich eine Blume. Sie stand in voller Blüte, eine fremdartige,
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