The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
mir den Auftrag erteilt, dich vorzubereiten. Nur deswegen hat sie überhaupt gestattet, dass ich dich in Magdalen aufnehme«, erklärte er. »Doch ich habe nicht vor, dich ihr zu überlassen. Ja, ich habe alles darangesetzt, dass du deine Gabe entfaltest … aber um deinetwillen , Paige. Nicht ihretwegen.«
Ich antwortete nicht. Es gab nichts zu sagen.
Der Wächter riss einen Streifen von einem der Vorhänge ab und fing an, mir sanft das Make-up vom Gesicht zu wischen. Ich ließ es geschehen. Meine Lippen waren taub, meine Haut kalt wie Eis. Ein paar Minuten noch, dann war ich vielleicht tot und schwebte in hirnlosem Gehorsam um Nashira herum. Als er fertig war, strich mir der Wächter die Haare aus der Stirn. Auch das ließ ich widerstandslos zu. Ich konnte mich sowieso auf nichts konzentrieren.
»Wage es ja nicht«, sagte er. »Wage es nicht, sie das sehen zu lassen. Du bist mehr. Mehr als das, was sie von dir verlangt.«
»Ich habe keine Angst.«
Prüfend sah er mir ins Gesicht. »Solltest du aber«, stellte er fest. »Doch du darfst es auf keinen Fall zeigen.«
»Ich werde ihr zeigen, was immer ich will. Du kannst mir nichts mehr befehlen.« Ruckartig entzog ich mich ihm. »Du hättest mich einfach gehen lassen sollen. Zulassen sollen, dass Nick mich zurück nach Seven Dials bringt. Mehr hättest du gar nicht tun müssen. Dann wäre ich jetzt schon lange zu Hause.«
Er beugte sich vor, bis wir auf Augenhöhe waren. »Ich habe dich mit zurückgenommen, weil mir ohne dich die Kraft gefehlt hat, gegen sie zu kämpfen«, sagte er. »Doch genau aus demselben Grund werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um dich sicher in die Zitadelle zurückzubringen.«
Schweigend sah ich ihn an.
»Du musst dir die Haare hochstecken«, fuhr er fort, seine Stimme hatte sich verändert, war leiser geworden. Er drückte mir einen reich verzierten Kamm in die Hand.
Das Ding fühlte sich kalt an. Meine Finger zitterten. »Ich glaube, das schaffe ich nicht.« Ich holte tief Luft. »Machst du das?«
Er sagte nichts, griff aber nach dem Kamm und drehte mich um. So vorsichtig, als hätte er es mit zarten Spinnweben zu tun, kämmte er meine Haare nach hinten und fasste sie im Nacken zu einem Knoten zusammen. Das war nicht der schlichte Dutt, den ich sonst immer trug, sondern eine ausgefeilte, geflochtene Frisur. Anschließend glitten seine rauen Finger über meinen Kopf, bis er die richtige Stelle für den Zierkamm gefunden hatte. Ein leiser Schauer lief mir über den Rücken. Als der Wächter die Hände zurückzog, hielten die Haare einwandfrei.
Irgendwie hatte sich diese Berührung seltsam angefühlt, wärmer als sonst. Doch erst als ich seine Hände sah, begriff ich, warum.
Er trug keine Handschuhe.
Vorsichtig tastete ich über die raffinierte Konstruktion auf meinem Kopf. Es schien unmöglich, dass derart riesige Hände etwas so Filigranes erschaffen konnten. »Die Bahn wird Punkt ein Uhr abfahren«, sagte er dicht an meinem Ohr. »Der Zugang befindet sich unterhalb des Trainingsgeländes. Genau an der Stelle, an der wir standen.«
Wie lange hatte ich auf diese Worte gewartet.
»Falls sie mich umbringt, musst du es den anderen sagen.« Ein dicker Kloß stieg in meine Kehle. »Dann musst du sie hinführen.«
Seine Finger glitten über meinen Arm. »Ich werde sie nicht führen müssen.«
Nun zitterte ich am ganzen Körper – aber anders als erwartet. Als ich den Kopf drehte, um ihn ansehen zu können, schob er mir eine Locke hinters Ohr. Die freie Hand legte er auf meinen Bauch, sodass mein Rücken an seiner Brust ruhte. Seine Wärme wirkte tröstend auf mich.
Und ich spürte seinen Hunger. Doch er wollte nicht meine Aura, er wollte mich.
Ganz sanft schmiegte er seinen Kopf an meine Wange. Streichelte über mein Schlüsselbein. Seine Traumlandschaft war ganz nah, seine Aura vermischte sich mit meiner. Mein sechster Sinn meldete sich und ließ ihn ein. »Deine Haut ist ganz kalt«, sagte er rau. »Ich wollte nie … « Er verstummte. Meine Fingerspitzen schoben sich zwischen seine nackten Knöchel. Ganz bewusst hielt ich die Augen offen, als ich mich zu ihm umdrehte.
Langsam glitten seine Lippen über mein Kinn. Ich führte seine Hand an meine Taille. Die Sehnsucht, von ihm berührt zu werden, war schon fast schmerzhaft, nicht einmal zurückschrecken konnte ich. Unmöglich, ihn abzuwehren. Ich wollte es, so kurz vor dem Ende. Ich wollte berührt werden, gesehen werden – hier, in diesem dunklen Raum, in dieser
Weitere Kostenlose Bücher