The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
ein Glas Mecks, Nick. Sie wird uns erhalten bleiben.«
Kapitel Vierzehn
S ONNENAUFGANG
Während der folgenden Nächte wechselten der Wächter und ich kein einziges Wort miteinander, und es fand auch kein Training statt. Jeden Abend, sobald die Glocke ertönte, verließ ich die Residenz, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er beobachtete alles, versuchte aber nicht, mich aufzuhalten. Fast wünschte ich mir, er würde es tun, denn dann könnte ich die Wut endlich rauslassen.
Einmal wollte ich zu Liss gehen. Draußen regnete es, und ich sehnte mich nach ihrem warmen Ofen. Aber ich konnte es nicht. Nicht nach dem, was mit dem Wächter gewesen war. Nachdem ich dem Feind schon wieder geholfen hatte, war es unvorstellbar, ihr noch in die Augen zu sehen.
Aber bald fand ich ein neues Refugium, einen Ort, der nur mir allein gehörte: ein steinerner Bogen auf den Stufen von Hawksmoor. Früher war es sicher eine majestätische Architektur gewesen, doch nun hatte diese Erhabenheit etwas Tragisches an sich. Kalt, schwerfällig und dem Verfall preisgegeben, wartete es auf eine Zeit, die vielleicht nie wiederkehren würde. Dieser Ort wurde zu meinem Unterschlupf. Jede Nacht ging ich dorthin. Manchmal, wenn keine Knochensammler unterwegs waren, stahl ich mich in die Bibliothek und schleppte einige Bücher hinaus unter den Torbogen. Hier gab es so viele illegale Schriften, dass ich ernsthaft überlegte, ob Scion die vielleicht alle hierherschickte. Jax hätte seine Seele verkauft, um sie in die Finger zu kriegen. Falls er überhaupt eine Seele hatte, die er verkaufen konnte.
Seit meiner Blutspende waren vier Nächte vergangen. Und noch immer verstand ich nicht, warum ich ihm geholfen hatte. Welches schmutzige Spiel trieb er mit mir? Bei der Vorstellung, dass mein Blut sich jetzt in seinem Körper befand, wurde mir ganz anders. Der Gedanke an das, was ich getan hatte, war einfach unerträglich.
Das Fenster war angelehnt, ich würde also hören, wenn sie mich holen kamen. Noch einmal würde ich nicht zulassen, dass sie sich an mich heranschlichen so wie in I-5.
Versteckt zwischen den Regalen hatte ich ein Buch mit dem Titel Das Geheimnis von Bly entdeckt. Draußen regnete es stark, also hatte ich mich dafür entschieden, in der Bibliothek zu bleiben. Ich legte mich unter einem der Tische auf den Boden und zündete eine kleine Öllampe an, damit ich genug Licht zum Lesen hatte.
Draußen, auf der Broad Street, war alles ruhig. Die meisten Clowns probten schon für die Zweihundertjahrfeier. Angeblich würde sogar der Großinquisitor höchstpersönlich erscheinen. Natürlich sollte er sich beeindruckt zeigen von der Art, wie wir unser neues Leben meisterten, sonst gestattete er vielleicht nicht, dass dieses spezielle Arrangement fortgeführt wurde. Obwohl er eigentlich keine Wahl hatte. Trotzdem mussten wir beweisen, dass wir unseren Nutzen hatten, und sei es nur zu Unterhaltungszwecken. Dass unser Wert ein wenig höher lag als die Summe, die man aufbringen müsste, um uns allen eine Dosis NiteKind zu verpassen.
Ich griff nach dem Umschlag, den David mir gegeben hatte. Darin befand sich ein Textfragment, offenbar aus einem Notizbuch. Das Papier war rissig und vergilbt. Schon mehr als einmal hatte ich es mir durchgelesen. Anscheinend war einmal eine Kerze daraufgefallen, denn die Ecken waren mit hartem Wachs verklebt, und in der Mitte war ein Brandloch. Am Rand der Seite fiel eine undeutliche Zeichnung ins Auge, die wohl ein Gesicht darstellen sollte, jetzt aber ziemlich verblasst und unförmig war. Einzelne Worte ließen sich entziffern, aber auch nur ungefähr.
Rephaim sind … Kreaturen. In … genannt … innerhalb … Grenzen der … in der Lage … unbegrenzte Zeit, aber … neue Form, die … Hunger, unkontrollierbar und … umgeben von Energie, vermutlich … rote Blume, die … einzige Methode … Natur der … und nur dann kann …
Wieder einmal versuchte ich, die einzelnen Wörter miteinander zu verbinden oder irgendeine Art von Muster zu erkennen. Die Teile über den Hunger und die Energie in Beziehung zu setzen, war nicht schwer, aber ich hatte keine Ahnung, was diese rote Blume zu bedeuten hatte.
Der Umschlag enthielt noch etwas anderes, eine verblasste Daguerreotypie. In einer Ecke des Fotos stand die Jahreszahl 1842. Doch egal, wie lange ich auf das Bild starrte, ich erkannte nichts außer ein paar weißen Flecken auf schwarzem Grund. Schließlich stopfte ich den Umschlag wieder in meine Tunika. Als meine Augen
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