The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
konnte.
»Widernatürlichkeit«, stellte ich fest.
Jaxon lächelte schmal. »So nennt es das Archonitat. Aber wissen Sie, was das Wort bedeutet?«
»Eine besondere Sicht, eine Art außersinnliche Wahrnehmung. Wenn man Dinge weiß, die verborgen sind.«
»Und wo sind sie verborgen?«
Ich zögerte. »Im Unterbewusstsein?«
»Manchmal, ja. Oder manchmal«, er blies die Kerze aus, die zwischen uns stand, »im Æther.«
Wie hypnotisiert starrte ich auf die feine Rauchsäule. Kälte breitete sich in mir aus. »Was ist der Æther?«
»Die Unendlichkeit. Wir entspringen ihm, leben in ihm, und wenn wir sterben, kehren wir in ihn zurück. Aber nicht alle von uns sind bereit, aus der physischen Welt zu scheiden.«
»Jax, das hier soll eine Einführung sein, keine Vorlesungsreihe«, schaltete sich Nick leise ein. »Sie ist erst sechzehn.«
»Ich will es aber wissen«, drängte ich.
»Paige … «
»Bitte!« Ich musste es einfach wissen.
Sein Gesicht wurde weich. Dann lehnte er sich zurück und nippte an seinem Wasser. »Wie du willst.«
Jaxon, der uns mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtet hatte, spitzte kurz die Lippen, bevor er mit seiner Erklärung fortfuhr: »Der Æther ist eine höhere Daseinsebene. Er existiert parallel zur körperlichen Welt. Seher – also Menschen wie wir – verfügen über die Fähigkeit, sich den Æther zunutze zu machen.«
Ich saß mit zwei Widernatürlichen in einem Restaurant. »Wie?«, hakte ich nach.
»Oh, es gibt unzählige Möglichkeiten. Ich habe fünfzehn Jahre mit dem Versuch verbracht, sie zu kategorisieren.«
»Aber was bedeutet das: ›sich den Æther zunutze zu machen‹?« Bei jeder Frage bezüglich der Hellseherei überlief mich ein erregender Schauer, als würde ich damit einen Frevel begehen.
»Es bedeutet, dass du mit Geistern kommunizieren kannst«, erläuterte Nick. »Mit den Toten. Verschiedene Arten von Sehern tun das auf unterschiedliche Weise.«
»Dann ist der Æther also praktisch das Leben nach dem Tod?«
»Das Fegefeuer«, präzisierte Jaxon.
»Das Leben danach«, beharrte Nick.
»Sie müssen Dr. Nygård entschuldigen – er versucht nur, zartfühlend zu sein.« Wieder nahm Jaxon einen Schluck Mecks. »Leider ist der Tod nicht zartfühlend. Und ich würde Sie gerne darüber aufklären, was Hellseherei wirklich bedeutet, im Gegensatz zu der deprimierend verzerrten Sichtweise, die Scion diesem Zustand entgegenbringt. Es ist ein Wunder, keine Perversion. Das müssen Sie begreifen, Liebes, sonst werden die diesen wundervollen Schimmer ersticken.«
Als die Bedienung meinen Salat brachte, schwiegen beide Männer. Anschließend wandte ich mich an Jax: »Erzählen Sie mir mehr davon.«
Er lächelte.
»Der Æther ist die ›Quelle‹, von der Scion hin und wieder spricht«, sagte er. »Das Reich der ruhelosen Toten. Die Quelle, der sich der blutrünstige König während einer Séance bedient haben soll und die ihn dazu trieb, fünf grausige Morde zu begehen und die Epidemie der Hellseherei über die Welt zu bringen. Was natürlich alles ausgemachter Blödsinn ist. Der Æther ist einfach eine spirituelle Ebene, und Seher sind Menschen, die Zugang dazu haben. Es gab nie eine Epidemie. Wir waren schon immer hier. Einige von uns sind gut, andere sind böse – falls es so etwas wie das Böse überhaupt gibt – , aber was auch immer wir sein mögen, mit einer Krankheit hat das nichts zu tun.«
»Dann lügt Scion also.«
»Ja. Gewöhnen Sie sich besser an diese Vorstellung.« Jaxon zündete sich eine Zigarre an. »Es mag sein, dass Edward Jack the Ripper war, aber ich bezweifle stark, dass er überhaupt seherische Fähigkeiten hatte. Viel zu trampelig.«
»Wir haben keine Ahnung, warum sie alles an der Hellseherei festmachen«, ergänzte Nick. »Das ist ein Mysterium, das wohl nur das Archonitat versteht.«
»Und wie funktioniert das?« Meine Haut kribbelte, und mir wurde heiß. Vielleicht war ich eine Widernatürliche. Eine von ihnen .
»Nicht alle Geister gehen friedlich ins Herz des Æthers ein, wo unserer Vermutung nach eine Art endgültiger Tod stattfindet«, sagte Jaxon. Er genoss das Ganze hier, das konnte ich sehen. »Stattdessen verharren sie hier und durchstreifen die körperlichen und die spirituellen Ebenen. Wenn sie sich in diesem Zustand befinden, nennen wir sie Wanderer. Sie verfügen noch über eine Persönlichkeit, und zu den meisten von ihnen kann man Kontakt herstellen. Ihre Freiheit ist eingeschränkt, und normalerweise sind sie gerne
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