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The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)

Titel: The Bone Season - Die Träumerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samantha Shannon
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müde wurden, blies ich die Lampe aus und rollte mich zusammen.
    Wirre Gedanken jagten durch meinen Kopf: der Wächter und seine Verletzung, Pleione, die ihm Sebs Blut brachte, David und sein Interesse an meinem Wohlergehen. Und natürlich Nashira, die All-Sehende.
    Ich versuchte, mich nur auf den Wächter zu konzentrieren. Bei dem Gedanken an Sebs Blut, abgefüllt, etikettiert und bereit zum Verzehr, wurde mir immer noch übel. Ich konnte nur hoffen, dass sie es ihm abgezapft hatten, als er noch lebte, und es nicht aus seinem toten Körper geholt hatten. Und Pleione? Sie hatte ihm das Blut gebracht; also musste sie gewusst haben, dass er sich die Infektion zugezogen hatte – oder zumindest zugezogen haben könnte . Und sie musste im Vorfeld dafür gesorgt haben, dass sie ihm Menschenblut zukommen ließ, bevor es zu spät war. Als sie aufgehalten worden war, hatte er stattdessen mein Blut getrunken. Was auch immer er tat, sie wusste darüber Bescheid.
    Der Wächter hatte ein Geheimnis. Genau wie ich. Ich verbarg meine Verbindung zur Unterwelt Londons, die Nashira wohl nur zu gerne aufgedeckt hätte. Ich konnte mit seinem Schweigen leben, solange er mit meinem leben konnte. Nachdenklich strich ich über meinen bandagierten Unterarm. Die Wunde war noch immer nicht verheilt. Für mich war sie ebenso entstellend wie das Brandmal. Sollte eine Narbe zurückbleiben, würde sie mich immer an die Scham und Angst erinnern, die ich verspürt hatte, als ich das tat. Eine ganz ähnliche Furcht wie damals, als ich das erste Mal mit der Geisterwelt in Kontakt gekommen war. Angst vor dem, was ich war. Und dem, was ich werden konnte.
    *
    Ich war offenbar eingenickt, denn ein scharfer Schmerz an der Wange holte mich in die Realität zurück.
    »Paige!«
    Liss schüttelte mich. Meine Augen waren verquollen und trocken.
    »Paige, verdammt, was machst du hier? Die Sonne ist schon aufgegangen. Die Knochensammler suchen überall nach dir.«
    Benommen schaute ich zu ihr hoch. »Warum?«
    »Weil der Wächter es ihnen befohlen hat. Du hättest schon vor einer Stunde wieder in Magdalen sein müssen.«
    Sie hatte recht: Der Himmel draußen strahlte golden. Liss zog mich auf die Füße. »Du hast Glück, dass sie dich nicht hier drin erwischt haben. Das ist verboten.«
    »Wie hast du mich gefunden?«
    »Früher bin ich selbst oft hierhergekommen.« Mit festem Griff umklammerte sie meine Schultern und sah mir eindringlich in die Augen. »Du musst den Wächter um Verzeihung anflehen. Wenn du bettelst, bestraft er dich vielleicht nicht.«
    Fast hätte ich laut gelacht. »Betteln?«
    »Das ist der einzige Weg.«
    »Ich werde um gar nichts betteln.«
    »Er wird dich schlagen.«
    »Trotzdem bettle ich nicht. Sie werden mich schon zu ihm bringen müssen.« Wieder sah ich aus dem Fenster. »Bekommst du Ärger, wenn sie mich bei dir finden?«
    »Immer noch besser als wenn sie dich hier aufspüren.« Sie packte mein Handgelenk. »Komm schon, bald werden sie auch hier suchen.«
    Ich schob die Öllampe und das Buch mit dem Fuß unter ein Regal, um die Beweismittel verschwinden zu lassen. Dann rannten wir die dunkle Treppe hinunter und nach draußen. Die Luft roch frisch, wie nach Regen. Liss hielt mich zurück, bis sie sich vergewissert hatte, dass die Luft rein war. Leise schlichen wir über den Hof und unter dem steinernen Bogen hindurch, hinaus auf die Broad Street. Die Sonne schob sich bereits über die Dächer. Liss stemmte zwei lose Holzbretter auseinander, sodass wir über diese Abkürzung in die Hüttensiedlung abtauchen konnten. Die Akrobaten standen in Gruppen beisammen, an denen Liss mich vorbeilotste. Überall auf den Wegen lagen zusammengesuchte Habseligkeiten der Clowns verteilt, als wären ihre Hütten auf den Kopf gestellt worden. Ein Junge lehnte halb bewusstlos an der Wand, seine Augen waren blutverschmiert. Hinter uns erhob sich leises Raunen.
    Ich schaffte es bis in Liss’ Hütte, wo ich auf Julian traf. Er balancierte eine Schale mit Suppe auf den Knien und blickte hoch, als wir uns durch den Eingang schoben.
    »Guten Morgen.«
    Ich setzte mich hin. »Na, freust du dich, mich zu sehen?«
    »Schätze schon.« Er grinste. »Selbst wenn es nur als Erinnerung dient, mir endlich einen Wecker anzuschaffen.«
    »Solltest du nicht auch längst in der Residenz sein?«
    »Ich wollte ja gehen, aber jetzt bist du hier, und ich will doch nicht die Party versäumen.«
    »Ihr zwei!« Liss starrte uns böse an. »Die Sperrstunde wird hier sehr ernst

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