The Bone Season - Die Träumerin (German Edition)
vertrauen?« Ich musterte das Gesicht, das ich nie hatte vergessen können. Nick erwiderte meinen Blick.
»Immer.«
Wir gingen in eine kleine Kaschemme in der Silk Street und tranken einen Kaffee. Bisher hatte ich noch nie welchen probiert, und insgeheim fand ich, er schmeckte wie Schlamm. Eine Weile redeten wir über mein Leben. Ich erzählte von der Schule und dem Job meines Vaters, aber deswegen waren wir nicht hier, und es war uns beiden bewusst.
»Du hast von Widernatürlichkeit gehört, Paige, oder?«, begann er schließlich. »Ich will dir keine Angst machen, aber du zeigst gewisse Anzeichen davon.«
Mein Hals schnürte sich zu. Er arbeitete für Scion.
»Mach dir keine Sorgen.« Als er seine Hand auf meine legte, spürte ich, wie mein Arm sich erwärmte. »Ich werde dich nicht verraten. Ich werde dir helfen.«
»Wie?«
»Indem ich dich zu einem Freund von mir bringe. Ich möchte, dass du dich mit ihm unterhältst.«
»Wer ist das?«
»Jemand, dem ich vertraue. Und der sehr interessiert an dir ist.«
»Ist er … ?«
»Ja. Genau wie ich.« Er drückte meine Hand. »Du hattest vorhin einen Tagtraum, in dem du mein Auto gesehen hast.« Verblüfft starrte ich ihn an. »Das ist meine Gabe, Paige. Ich kann Bilder übermitteln und so dafür sorgen, dass die Leute gewisse Dinge sehen.«
»Ich … « Mein Mund war völlig ausgetrocknet. »Ich werde mich mit ihm treffen.«
Anschließend hinterließ ich bei der Sekretärin meines Vaters eine Nachricht, um ihm zu sagen, dass ich später als üblich nach Hause kommen würde. Nick fuhr mich zu einem kleinen französischen Restaurant in Vauxhall. Dort wartete ein großer, feingliedriger Mann auf uns, der schätzungsweise Ende dreißig war. Er wirkte intelligent, doch sein Blick flackerte unruhig. Seine Haut war weiß wie Wachs, was die dicken, schwarzen Haare noch unterstrichen, seine vollen Lippen waren blass. An seinen Wangenknochen hätte man Messer schleifen können. Er trug eine goldene Krawatte zu einer schwarz bestickten Weste, komplett mit Taschenuhr.
»Sie müssen Paige sein«, stellte er leicht belustigt fest. Seine Stimme war überraschend tief. »Jaxon Hall.«
Er streckte mir die knochige Hand entgegen, die ich brav schüttelte.
»Hallo«, grüßte ich knapp.
Seine Haut war kalt, der Griff fest. Ich setzte mich, Nick nahm neben mir Platz.
Als die Bedienung kam, bestellte Jaxon Hall kein Essen, sondern nur ein Glas Mecks, alkoholfreien Wein. Teures Zeug. Offenbar hatte er einen erlesenen Geschmack.
»Ich hätte da einen Vorschlag für Sie, Miss Mahoney.« Jaxon Hall ließ die Flüssigkeit in seinem Glas kreisen. »Dr. Nygård kam gestern zu mir und informierte mich darüber, dass Sie … anderen Leuten gewisse medizinische Absonderheiten zufügen können. Ist das korrekt?«
Verunsichert sah ich zu Nick.
»Na los.« Er lächelte aufmunternd. »Er ist nicht von Scion.«
»Bitte, keine Beleidigungen.« Jaxon nippte an dem Wein. »Zwischen dem Archonitat und mir liegt ungefähr so viel Distanz wie zwischen der Wiege und der Bahre. Natürlich sind diese beiden Zustände gar nicht so weit voneinander entfernt, aber ihr versteht sicher, was ich meine.«
Da war ich mir nicht so sicher. Allerdings verhielt er sich ganz und gar nicht wie ein Offizieller von Scion.
»Sie meinen das Nasenbluten«, hakte ich nach.
»Jawohl, das Nasenbluten. Faszinierend.« Seine Hände lagen mit verschränkten Fingern auf der Tischplatte. »Sonst noch etwas?«
»Kopfschmerzen, manchmal richtige Migräne.«
»Und wie fühlen Sie sich, wenn das passiert?«
»Müde. Krank.«
»Verstehe.« Er ließ den Blick über mein Gesicht wandern, kühl und analytisch, als könne er durch mich hindurchsehen. »Wie alt sind Sie?«
»Sechzehn.«
»Dann werden Sie bald von der Schule abgehen. Es sei denn«, fügte er hinzu, »man bittet Sie, die Universität zu besuchen.
»Wohl eher nicht.«
»Hervorragend. Aber junge Leute haben oft Mühe, in der Zitadelle Arbeit zu finden.« Nun trommelte er mit den Fingerspitzen auf dem Tisch herum. »Ich würde Ihnen gerne eine Anstellung auf Lebenszeit anbieten.«
Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Was für ein Job wäre das?«
»Einer, der gut bezahlt wird. Einer, der Sie schützen wird.« Jaxon sah mich durchdringend an. »Sagt Ihnen der Begriff Hellseherei etwas?«
Hellseherei – das verbotene Wort. Hastig sah ich mich im Restaurant um, aber niemand beobachtete uns. Oder lauschte, soweit ich das beurteilen
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