The Cocka Hola Company: Roman
es, du bist auf ewig ausgeschlossen, viel Spaß noch, du hast keine Chance, du bist verurteilt zu ewigem Begehren nach etwas, das es nicht gibt. Die verfluchte Lifestyle-Welt da draußen dagegen tut so, als ob sie dir Möglichkeiten bieten würde, sie betrügt dich, indem sie dich glauben macht, du hättest eine Chance. Der Lifestyle lockt dich damit, dass du angeblich etwas erreichen, dass du dazugehören kannst, zwei Milliarden junge Menschen können sich nicht irren, denkst du, aber da hast du dich geschnitten, mitten in der Mitte, da, wo alle hinwollen, ist ein tiefes schwarzes Loch, sonst nichts, alle fühlen sich gleichermaßen verarscht, du bist immer an einem Ort, der noch nicht gut genug ist, es gibt immer einen anderen, an dem du sein solltest, alle sind gleichermaßen deprimiert und mit dem Abend unzufrieden, wenn er überstanden ist. Wer vor einem Porno sitzt, kann gar nicht anders als begreifen, dass ihm das nichts bringt, kein Mensch ist so blöd, dass er von einem Porno denkt, durch den könnte er was erreichen, und das , genau das – das Bewusstsein, dass es nichts hilft – das ist gesund, das Bewusstsein, dass man gearscht ist, egal, was man tut, das heißt der Welt ins Gesicht sehen«, hat Ritmeester gedacht. Wieder ein Beweis, dass sein Isolationsprojekt die richtige, die gesunde, die einzige Möglichkeit ist, wenigstens relativ zufrieden zu sein. Seit er sein Projekt in DOWN TO DATE umgetauft hat, fühlt er sich richtig obenauf. Er findet, das ist genau der richtige Trichter, das ist notwendig und realistisch, jetzt ist er in der Lage, zugleich vollkommen dazuzugehören und vollkommen außerhalb zu stehen, jetzt hat er die strebende, sehnende, erfolgssüchtige Welt restlos lächerlich gemacht. Ritmeester sieht sich als MR. POL und MR. GEGENPOL in ein und derselben Person. Er ist allein gegen alles und allein für alles, zu ein und derselben Zeit.
Nach mittlerweile knapp fünf Jahren in seiner Raumkapselwohnung hat er nicht das geringste Bedürfnis, vor die Tür zu gehen oder das Projekt sonstwie zu beenden.
Zwei Dinge fallen Eisenmann immer auf, wenn er hier ist. Erstens, wie penibel aufgeräumt und sauber alles ist. Weder Staub noch abgestandene Luft. Bis auf die Zeitungs- und Zeitschriftenstapel sieht die Wohnung aus, als wäre Ritmeester eben erst eingezogen. Das Parkett glitzert wie in der Putzmittelreklame. Die beiden Regale, ein Videoregal und ein Buchregal, stehen ca. dreißig Zentimeter von der Wand abgerückt, wie um zu sagen: Ich habe nichts zu verbergen. Zwischen den Möbeln ist Luft, zwischen den Möbeln und der Wand ist auch Luft. Hinter den Regalen, unter allem und auf allem ist Staub gewischt. Auch der Ohrensessel steht frei von Berührungen fast mitten im Raum, in gemütlichem Winkel auf eines der beiden Fenster in der Wand gegenüber der Eingangstür ausgerichtet. Keinerlei Unordnung, nicht mal ein Papierfitzelchen. Weder ein Paar Schuhe in der Ecke noch eine Jacke über einer Stuhllehne. Keine Tasse mit Kaffeeresten. Nicht mal ein Aschenbecher mit Kippen – Ritmeester löscht seine rund sechzig täglichen Zigaretten mit etwas Wasser in der Spüle und wirft sie dann in den Müll. Ausschließlich Möbel (schwarzes Ledersofa Doppelsitzer, Rauchglastisch 150 x 70 cm, Stuhl), Regale und Zeitungs-/ Zeitschriftenstapel, chronologisch und nach Kategorien geordnet. Die monatlichen Abos in 30–50 cm hohen Stapeln, je nach Dicke der Zeitschriften, die Tageszeitungen ungleich höher getürmt, das Videoregal vor allem voll greller Pastellfarben, hellviolett, rosa, rot, ein bisschen schwarz, verschiedene Rosa-schwarz-Kombinationen, kurz: Farben, die laut und vernehmlich P-o-r-n-o-g-r-a-f-i-e buchstabieren. Das Buchregal ist uninteressant.
Als Ritmeester ihm heute aufmacht, fängt er gleich mit irgendwelchem geisteskranken Zeug über Anthrax an, während Eisenmann drei Tragetaschen voll Besorgungen hinstellt. Das Dispril legt er auf den Tisch; Ritmeester räumt es sofort da weg, die PARKER-Tintenpatronen nimmt er Eisenmann aus der Hand und steckt sie sich in die Brusttasche. Dann stellt er die Tragetaschen in den Schrank unter der Arbeitsfläche der Teeküche. Er wartet immer, bis Eisenmann gegangen ist, bevor er die Sachen in den Kühlschrank stellt, als wäre es ihm peinlich, bei so einem Haushaltsgefummel beobachtet zu werden.
Als Zweites fällt Eisenmann immer auf, wie Ritmeester äußerlich, ja insgesamt physisch mehr und mehr verfällt. Ritmeester sieht ganz fürchterlich aus.
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