The Cocka Hola Company: Roman
Latexhandschuhe, Rotwein. Dann rennt er eine ganze Zeit lang fluchend und an die Wände tretend herum und sucht ein altes Glas Schlaftabletten; er weiß genau, er hat es jedes Mal, wenn sie in dem verfluchten Wohnblock umgezogen sind, irgendwo gesehen oder eingepackt. Am Ende muss er sich zusammenreißen und Motha fragen, ob sie sie gesehen hat. Nein, sagt sie, dabei müsste sie sich eigentlich erinnern, dass sie in der untersten Schublade von Simpels Nachtschränkchen liegen, auf einem sonnengebleichten Exemplar von GUNS & AMMO.
– Verfluchte Kotzscheiße, verdammte, sagt Simpel und geht runter zu Saddam Jacz, dem Hausmeister, seinem Komplizen, vielleicht hat der ja Schlaftabletten auf Lager.
– Schalaftabeletten? Was fur aine Fragee! In Nummer 001 habbe ick genuck Schalaftabeletten fur das ganze Land! Kain Propplem, Ssimpel! Wasserloselicke Schalaftabeletten? Kain Propplem!
Er schlurft in Wohnung Nr. 001 rüber und kommt mit zwei Gläsern wasserlöslichen Schlaftabletten zurück. Simpel sieht, dass sein Schlafanzug unter dem Hosensaum hervorschaut. »Hier führen noch andere ein Scheißleben«, denkt er und steigt in den Fahrstuhl. Oben wirft er die Tabletten in die Sporttasche und setzt sich in die Küche. Motha steht vorm Herd, sie wendet ihm den Rücken zu. Simpel mustert sie von Kopf bis Fuß. »Nichts auszusetzen an der Frau«, denkt er, und er meint es ernst. Und er hat Recht, an Motha ist nichts auszusetzen, egal, von welcher Seite man’s betrachtet.
Gegen zwei Uhr haben sie fertig gegessen, und Lonyl kommt nach Hause, ohne Schultasche. Simpel und Motha begrüßen ihn versuchsweise; Lonyls Antwort besteht darin, dass er anfängt, auf dem Sofa zu hopsen. TWOMP-TWOMP-TWOMP-TWOMP. Sie können nicht wissen, dass er wieder mal eineinhalb Liter XTREME ENERGY intus hat. Sein kleiner Körper ist der reinste Kohlensäureballon. Weder Motha noch Simpel ist nach Lachen zumute. Motha zündet sich eine Zigarette an und will Lonyl gerade fragen, wo sein Rucksack abgeblieben ist, da entdeckt sie ihn unterm Fernseher, wo er seit Donnerstag liegt, mindestens seit Donnerstag.
– Siiimpel, sagt sie vorwurfsvoll. – Du muuss aufpaass, daass Lonyl sein ’uucksaack mitniimm …
– Hatte er den nicht dabei? Verflixter Bengel! Ich hab’s ihm gesagt, Motha, aber er scheißt drauf.
– Du muuss ihm anziehen, weiß du.
– Bald soll ich wohl auch noch hinten in der Klasse sitzen und auf ihn aufpassen, oder was? Und in der Pause den Wachhund spielen? Pfui Teufel, was ein Schweinesystem.
Die übrige Zeit vor der Fasci NATION -Aktion keift er mit Lonyl herum und erzählt Motha von Cathrine Færøys Abschiedsbrief. Motha findet auch, dass sie besser kein Wörtchen darüber verlauten lassen. Simpel hat den Brief in der Jackentasche, seit Tiptop ihn am Samstag entdeckt hat.
Fasci NATION
Es ist ja durchaus möglich, zugleich aufgeregt zu sein und sich zu langweilen. Langeweile bremst nicht zwangsläufig die Tatkraft. Simpels gegenwärtiger Zustand beweist das zur Genüge. Er geht Richtung Hinrichsgate, zum Ateliergebäude von TEXTIL 16, langweilt sich maßlos und fürchtet sich gleichzeitig. Man könnte diese Mischung geradezu als seine Haupttriebkraft bezeichnen: Angst und Langeweile. Beides ist so stark, dass er anfängt, zur Ablenkung eine Rangliste zu erstellen, eine Liste dessen, was zu bekämpfen ist:
Konkurrenzlos auf Platz eins liegt das Schulsystem samt jeglicher Pädagogik, denkt er. Die ganze Konventionsdressur.
Platz zwei: alle anderen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen – Kernfamilie, Fernsehnachrichten, Universitäten usw.
Platz drei: die Bürokratie als solche.
Platz vier: öffentliche Verkehrsmittel.
Platz fünf: Entziehungskliniken.
Platz sechs: Sammlungen für gute Zwecke.
Platz sieben: Kultur inklusive Architektur und Design.
Platz acht: Sauberkeit.
Platz neun: Lohnarbeit.
Platz zehn: positive Werte (Respekt, Rücksichtnahme, Solidarität usw.).
Die meisten lästigen Phänomene lassen sich irgendwie in einer dieser Kategorien unterbringen, denkt er kettenrauchend. PapaHans’ Anzug sitzt gut, ein guter Anzug, Simpel geht ohne weiteres als Galerist durch, keine Frage.
Am Ziel angelangt, bleibt er schwer atmend stehen. Er leidet wie ein Hund bei der Aussicht, nett sein zu müssen. Er schluckt 1 Milligramm Xanax, dann geht er rein. Im Treppenhaus hängen quälend viele Plakate mit Hinweisen auf kulturelle Ereignisse. Simpel versucht, nicht hinzusehen. Nicht aus der Rolle fallen jetzt,
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