The Curse - Im Schatten der Schwestern (German Edition)
war es Nathaira überhaupt möglich, einen Fluch auszusprechen. Die übersinnlichen Kräfte liegen im Blut. Aber Nathairas Blut ist nicht rein. Ihr fehlt die Reinheit des Herzens, die den Männern von Fair-Isle innewohnt und nur von ihnen an die Töchter weitergegeben wird. Ohne diese Reinheit konnte sie nie Vanoras Stärke erlangen. Darum neigte sie sich dem Bösen zu. Ihr fehlte die Führung einer liebenden Mutter, die ihr beigebracht hätte, ihre Gabe richtig einzusetzen.
Aber dass ihr diese, für ihre Stärke wichtige zweite Hälfte fehlt, ist auch euer Glück. Ich weiß nicht, ob ihr das nutzen könnt, aber sie war sicher nicht so mächtig wie ihre Mutter. Sie trug Vanoras Blut gemischt mit Grants Blut in sich und hatte die Kraft, den Fluch zu sprechen. Vanoras Blut vermischt mit Paytons Blut wäre womöglich stark genug, den Fluch aufzuheben. Ich vermute, nur Vanoras Blut kann Paytons Leben retten“, fasste Roy seine geheimnisvolle Rede zusammen.
In der darauf folgenden Stille war nur das leise Zischen des Teekessels zu hören, den Alison noch einmal aufgesetzt hatte.
„Aber dann gibt es keine Hoffnung“, stellte ich schließlich fest, da weder Payton noch Roy den Eindruck machten, das Offensichtliche aussprechen zu wollen.
„Ich habe ja gesagt, dass ich nicht weiß, wie euch das weiterhelfen kann, aye?“, gestand Roy.
„Vanora ist tot. Ihr Blut schon vor Jahrhunderten vergossen“, murmelte Payton leise.
Das konnte doch nicht alles sein! Es musste doch eine Lösung geben! Warum hatte das Schicksal mich und Payton zusammengebracht, wenn es uns nun nicht vergönnt sein sollte, miteinander glücklich zu sein? Oder gab es eine Möglichkeit, Payton zu retten, und wir erkannten sie nur nicht?
Ich starrte gedankenversunken auf die bunten Stickereien der altertümlichen Leinenservietten, nicht in der Lage, dem Spiel der Farben einen Sinn zuzuordnen. Es waren vermutlich Blüten, die in feinen Stichen das Leinen verzierten. Mein Finger strich über die Stickerei. Folgte einem Faden. Dieser war der auffälligste. Stark und rot bildete er den Höhepunkt des ganzen Bildes, krönte die schönste aller Blüten mit seinem Glanz. Und dann sah ich es. Ein fehlerhafter Stich. Ein grober schwarzer Faden überlagerte den roten, schien ihm seine Schönheit zu neiden, ihn beinahe zu überdecken.
Getrieben von einem Impuls, den ich nicht verstand, fuhr ich mit dem Finger entlang zu der Stelle, an der der schwarze Faden seinen Anfang nahm. Ein kleiner, Knoten sicherte den Halt des groben Garnes. Mit spitzen Fingern zog ich daran und löste Stück für Stück den Fehlstich heraus. Sah, wie das glänzende Rot seine volle Schönheit entfaltete. Als ich den Faden ganz in meiner Hand verschwinden ließ, schien es mir, als hätte die Sonne selbst der Blüte ihr Strahlen geschenkt, als hätte Rot noch nie zuvor so vollkommen ausgesehen. Rot wie Blut.
Mit einem Mal wurde mir schwindelig. Das grobe Garn fiel achtlos zu Boden, als es mir in den Ohren summte und sich die Welt um mich herum drehte. Ich schloss die Augen und fühlte kaum mehr, wie ich vom Stuhl in die Dunkelheit glitt.
Schmerz schoss mir durch den Arm, rann wie Feuer hinab zu meinen tauben Fingern. Ich rang nach Luft. Der Geruch von Kupfer stieg mir in die Nase, füllte meinen Mund aus, und mir wurde schlecht. Langsam kehrte das Gefühl in meine Finger zurück. Ich öffnete die Augen, sah hinab auf meine Hände. Glitschig und warm ergoss sich das Blut auf die Waffe. Und auf mich. Ich hielt den Dolch umklammert, hatte ihn so fest hineingestoßen, dass meine Faust die reglose Brust des Mannes berührte, fühlte, dass das Herz unter meinen Fingern nicht länger schlug. Ein Wort trieb durch meinen wirren Verstand: Verrat.
Mit einem panischen Schrei kam ich zu mir. Lag mit pochendem Herzen und Schweißtropfen auf der Stirn auf dem Fußboden, gebettet in Paytons Schoß.
Ich musste mehrfach blinzeln, um die Bilder aus meinem Kopf zu bekommen. Ich verstand nicht, was gerade mit mir geschehen war, verstand meine plötzliche Schwäche und mein Zittern nicht. Ich rieb mir den Arm, der noch immer schmerzte.
„Mo luaidh, bist du in Ordnung? Du bist ohnmächtig geworden.“
Ich schluckte. War ich in Ordnung? Keine Ahnung. Am liebsten hätte ich geweint, so sehr hatte ich mich erschrocken. Alle Augen waren auf mich gerichtet, Alison hielt mir ein Glas Wasser hin. Da ich noch nicht in der Lage war, aufzustehen, nahm ich einen Schluck. Meine Hand um das Glas zitterte, und Roy
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