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The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume

The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume

Titel: The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O'Brien Caragh
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Kladde. Als Gaia sie aufschlug, fiel ihr ein Bündel gefalteter Blätter entgegen, die nur von einer roten Schnur zusammengehalten wurden. Auf dem obersten Blatt stand leserlich in schwarzer Tinte:
    Für Bonnie und Jasper Stone
    »Für meine Eltern«, sagte Gaia überrascht. »Was macht das bloß hier?«
    »Deine Großmutter wird gehofft haben, dass sie es eines Tages finden«, vermutete er.
    Sie öffnete die Schnur. Der Brief war mehrere Seiten lang, aber nicht in normaler Schrift, sondern in seltsamen Symbolen verfasst.
    Sie konnte sich absolut keinen Reim darauf machen.

    »Nicht schon wieder!«, ächzte sie. »Was ist mit den Leuten in meiner Familie bloß los? Wieso können sie nicht einfach ganz normal schreiben?«
    Leon griff nach den Blättern und drehte sie um. »Schau mal, hier«, sagte er und hielt eines der Blätter hoch. »Das ist wunderschön.«
    Gaia schaute es sich an. Es war das Bild eines schlafenden Kindes, geradezu detailversessen und mit Bleistift gezeichnet. Das Kind war eigentlich noch ein Säugling. Er hatte die Augen geschlossen und eine kleine Hand ans Kinn gelegt. Jeder einzelne Finger war sorgfältig gezeichnet, selbst die winzigen Fingernägel. Die Künstlerin hatte ein sehr genaues Auge gehabt – und mit derselben Kunstfertigkeit hatte sie auch die wunde, verbrannte Haut gezeichnet, die die linke Wange des Babys verunstaltete.
    Wie betäubt drehte Gaia das Bild zwischen den Fingern. »Das bin ja ich«, murmelte sie.
    »Der Anblick tut einem fast weh«, sagte Leon leise. »Das zu zeichnen muss sie eine Menge Kraft gekostet haben.«
    Gaia hatte noch nie eine so lebensechte Zeichnung gesehen. Es faszinierte sie. Fast wünschte sie, das Baby würde die Augen öffnen.
    »Ist da noch mehr?«, fragte sie. »Bilder, die meine Eltern darstellen, vielleicht?«
    Sie schüttelte die Kladde in der Hoffnung, dass noch mehr herausfiel, doch alles, was auf den Tisch schwebte, war eine kleine, schwarze Feder. Den weißen, eckigen Flecken nach zu urteilen hatte sie vielleicht einem Seetaucher wie dem gehört, den sie im Sumpf gesehen hatte. Sie hielt die glänzende Feder ins Licht, dann über die Zeichnung, sodass sie die Narbe verdeckte. Wie anders, wie unbelastet das Baby jetzt aussah, das Zeugnis seiner Qual verborgen. Sie nahm die Feder wieder weg, betrachtete Gesicht und Narbe.
    Leons Stuhl quietschte leise. »Du hattest eine richtige Familie«, sagte er nachdenklich.
    Sie nickte. Es war ein schweres und seltsames Erbe, das sie da antrat. Ihre Großmutter war nicht länger jemand, dessen persönliche Motive heute niemand mehr nachvollziehen konnte. Gaia hatte den Verdacht, dass sie etwas sehr viel Größerem auf der Spur war, etwas, das in ihr fortlebte, so wie es in ihren Eltern fortgelebt hatte. In diesem Moment, mit etwas so Flüchtigem wie einer Feder in der Hand, kam es ihr so vor, als ob sie, ihre Mutter und ihre Großmutter eins wären, denselben Schmerz, dieselbe Liebe teilten, bloß in verschiedenen Generationen.
    »Ich weiß zwar noch nicht, was hier steht«, sagte Gaia, »oder wieso sie es in einer Geheimschrift verfasst hat, aber ich könnte wetten, dass es etwas sehr Wichtiges, vielleicht Überlebenswichtiges ist. Sie hatte ihre Gründe, nach Sylum zu gehen, und glaubte, dass meine Eltern nachkommen würden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie all diese Mühe auf sich nahm, bloß um sie in eine Sackgasse zu führen. Sie wird nach einem Ausweg gesucht haben – entweder etwas gegen den Mädchenmangel oder eine Möglichkeit zu gehen.«
    »Woran ist sie gestorben?«
    Gaia schüttelte den Kopf. »Nicht einmal das weiß ich.« Doch sie würde es schon herausfinden.
    Sie legte die Feder weg und nahm wieder den Brief zur Hand, drehte ihn in der Hand, hielt ihn dicht vor ihr Gesicht, studierte die Zwischenräume zwischen den Zeichen – doch es half nichts. Schließlich zog sie die Knie an und grübelte. »Wieso haben mich sowohl die alte Meg als auch meine Mutter hierhergeschickt? Bruder Iris meinte, der Tote Wald wäre nur ein Märchen.«
    Leon nahm die schwarze Feder und spielte gedankenverloren damit. »In der Enklave waren wir uns darüber im Klaren, dass es noch andere Siedlungen geben musste. Wie konnte es auch anders sein? Direkt von Sylum aber hatte ich noch nie gehört, bis ich hierherkam. Der Tote Wald war wirklich ein magischer, böser Ort aus Kindergeschichten. Da gab es Hexen und Zauber und Feuer, wie in der Unterwelt. Wahrscheinlich dachte Bruder Iris, dass du das

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