The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
meinst.«
Er verstummte und betrachtete ihre Hände. Sie hielt ganz still und bekam eine leichte Gänsehaut.
»Wir vor der Mauer hatten dieselben Geschichten«, sagte sie. »Aber meine Mutter war sich ihrer Sache so sicher, als sie mich losschickte – als ob sie von Sylum gewusst hätte! Ich glaube, dass ein paar Nomaden ihr davon erzählt haben. Will meinte, die Nomaden nennen Sylum den Toten Wald.«
»Klingt ganz danach, als ob deine Mutter mehr wusste als Bruder Iris.«
»Du hast auch nicht an den Toten Wald geglaubt«, rief sie ihm ins Gedächtnis.
»Du aber schon – das reichte mir.«
Er hielt noch immer die Feder in den Händen, doch etwas an seiner Stimme war anders, beinahe zärtlich. Eine leichte Röte stieg in seine Wangen, obwohl er sie nicht ansah.
Sie setzte sich aufrecht hin und strich sich verlegen den Rock glatt. »Was ist los?«
Ein Scheit knackte im Feuer, und Gaia merkte, dass Josephine wieder aufwachte. Leon legte die Feder weg und erhob sich. Die Dunkelheit hinter den Fenstern wurde von einzelnen Blitzen durchzuckt.
»Viel Erfolg damit«, sagte er.
»Du gibst auf? Ich dachte, du hilfst mir!« Sie breitete die Geheimschrift vor sich aus. Ich dachte, wir kämen gut miteinander aus.
»Später vielleicht.«
»Bist du denn gar nicht neugierig?«
»Schon – aber ich halte es für keine gute Idee, jetzt zusammen daran zu arbeiten.«
»Wieso denn nicht?«
Fernes Donnergrollen erreichte die Klippe und ließ die Scheiben erzittern.
»Deshalb.« Langsam beugte er sich vor und strich ihr mit seinen Fingerknöcheln über den Handrücken – nur ganz leicht. Eine unsichtbare Spannung kribbelte auf ihrer Haut, wo er sie berührte, und sie wagte kaum, sich zu regen. Mit großen Augen schaute sie ihn an, doch wieder mied er ihren Blick.
Er ballte die Faust und musterte sie, als traue er seiner eigenen Haut nicht. »Weißt du, das ist ein kleines Problem«, sagte er. »Zumindest für mich.«
Sie konnte keinen Muskel rühren. Für mich auch.
Er wandte sich ab und ging zur Tür hinaus. Augenblicke später hörte sie das unverkennbare Geräusch einer Axt, die Holz spaltet, und so ging es die nächste Stunde unaufhörlich weiter.
19 Glühwürmchen
Die nächsten Tage achtete Gaia darauf, nicht mehr alleine mit Leon zu sein. Er ließ sie kaum noch aus den Augen, doch die Nähe schien ihm genauso wenig zu behagen wie ihr. Er brachte sie völlig durcheinander: Wenn er im selben Raum war, war sie sich seiner nur allzu bewusst. War er nicht da, rechnete sie ständig damit, dass er hereinkam. Am schlimmsten war es, wenn er ins Dorf ging, um Vorräte und Wasser zu holen. Manchmal blieb er bloß eine halbe Stunde weg, manchmal einen halben Tag. Zur Ruhe kam sie eigentlich nur, wenn sie in der Hütte war und ihn draußen auf der Veranda sehen konnte, wo er manchmal mit Maya oder Junie auf dem Arm auf und ab ging und ins Tal hinunter sah. Dann wusste sie, wo er war und was er machte und dass er sie nicht beobachten konnte.
»Du bist so angespannt«, meinte Josephine eines Abends. »Ich würde dir ja empfehlen, etwas Reisblüte zu rauchen, aber so etwas machst du nicht, oder?«
»Nein.«
Josephine seufzte. »Wahrscheinlich ist es die Dunkelheit. Wenn die Tage kürzer werden, rauchen alle mehr. Du solltest es probieren.«
»Du rauchst doch hoffentlich in der Stillzeit nicht?«, fragte Gaia aufgeschreckt.
»Nein«, beruhigte Josephine sie. »Aber ganz ehrlich, die Versuchung ist groß. Isabel raucht viel – eigentlich immer, wenn sie Kopfschmerzen kriegt – und ist dann einfach lockerer.« Lachend zeigte sie Richtung Wohnzimmer. »Mit euch ist es wirklich viel besser als mit Bill. Sitzt du immer noch an dieser Geheimschrift?«
»Ja«, sagte Gaia.
Josephine wechselte Junies Windeln, kam danach aber zurück, um Gaia über die Schulter zu schauen. Gaia lehnte sich zurück. Maya war in ihrer neuen Schlinge gerade aus einem friedlichen Schläfchen erwacht und sah sich um. Dann schaute sie hoch und schenkte Gaia ihr zahnloses, überschwängliches Babylächeln. Gaia musste einfach zurückgrinsen.
»Es könnte auch einfach nur Unsinn da geschrieben stehen, weißt du«, sagte Josephine. »Deine Großmutter war ziemlich verrückt.«
»Wie bitte?«
Josephine ließ sich auf einen Stuhl sinken und nickte. »Das will dir natürlich niemand sagen, aber gegen Ende war sie nicht mehr ganz richtig im Kopf. Sie fing an, nachts im Sumpf herumzulaufen. Hast du das nicht gewusst?«
»Wovon redest du?«
»Frag
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