The Doors
Seite des Zimmers zur anderen, vom Beifahrer- zum Fahrersitz. Die Performance endete mit locker dahinfließenden, optimistischen Gitarrenriffs von Robby Krieger, untermalt vom lauten Jubelgeschrei einer Menschenmenge, die durch die plötzlich vom Krieg befreiten Straßen tobte: der Tag des Sieges der USA in Vietnam, wie die Doors ihn sich vorstellten, sofern es nicht der Tag des Sieges des Vietcong über die USA war. Der Song war nicht aufwühlend, abgesehen von dem melodramatischen Abschnitt in der Mitte: Die Soldaten marschierten, Jim Morrison brüllte »Present! Arms!«, man hörte, wie ein Gewehr entsichert wurde, John Densmore spielte einen langen militärischen Trommelwirbel, und dann ertönte ein Gewehrschuss. Laut, scharf, heftig. Ein kurzer Knall, und die Band kehrte danach zu schnell zum Song zurück. Der Schuss hing nicht in der Luft, war aber dennoch beängstigend. Dieses trotz des einleitenden Tuschs plötzliche Geräusch, das, obwohl man ahnen konnte, was passieren würde, lauter war, als man erwartet hatte, und das auch dann lauter war als erwartet, wenn man die Platte bereits gehört hatte – dieses plötzliche, scharfe, heftige Geräusch war 1968 keineswegs eine Metapher. Es barg Ereignisse in sich. Hörte man diesen Knall, dann sah man, was gerade passierte.
Als »The Unknown Soldier« im März als Single veröffentlicht wurde, da waren Martin Luther King und Robert F. Kennedy noch nicht erschossen worden, doch wenn einer der beiden in den Abendnachrichten auftauchte, was damals fast jeden Abend vorkam, so fragten sich die Leute bereits hinter vorgehaltener Hand, ob es passieren würde und wenn ja, wann. Es war ja schon passiert, bei John F. Kennedy und bei Malcolm X. In dem inkohärenten Waiting for the Sun -Track »Not to Touch the Earth« gab es die Zeile »Dead president’s corpse in the driver’s car«, und das Beunruhigendste daran war, dass diese Zeile sich nicht notwendigerweise auf JFK bezog: Nein, es handelte sich um ein Bild, das drohend über dem Tableau des Alltagslebens schwebte.
Die Geschichte, die dieser Gewehrschuss in sich barg, vollzog sich in den Straßen von Watts, Newark, Harlem und Detroit, wo Polizisten gezielt auf Demonstranten schossen, bei Rassenunruhen, die so heftig und unversöhnlich waren, dass man spüren konnte, wie die Nation in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Diese Geschichte vollzog sich jeden Tag tausendfach in Vietnam. Sie vollzog sich in Deutschland, wo ein Attentäter auf den Studentenführer Rudi Dutschke schoss; in der Tschechoslowakei, wo die Sowjetunion den Prager Frühling niederwalzte, als wollte sie sich über die Naivität der Studenten und Arbeiter lustig machen, die sich in Frankreich an ihren Mai-Tagen berauschten; in Mexiko City, wo Polizei und Militär Hunderte von protestierenden Studenten erschossen und wo die Herrschenden die folgenden vierzig Jahre damit verbrachten, die Leichen verscharrt zu lassen und jede öffentliche Erinnerung an das Massaker im Keim zu ersticken. Doch in den Vereinigten Staaten war das Schreckgespenst genauso machtvoll wie die tatsächliche Gewalt. Phil Ochs hatte 1965 gemutmaßt, dass sich Bob Dylan nach Highway 61 Revisited – einer Kollektion von Songs, die davon handelten, wie das Land sein eigenes Rückgrat hinuntereilte, verfolgt von einem Polizeiauto mit eingeschalteter Sirene – nicht mehr auf einer Bühne zeigen könnte: »Er steckt in den Köpfen so vieler Leute – Dylan ist zu einem festen Bestandteil der Psyche so vieler Leute geworden –, und es gibt so viele durchgeknallte Typen in Amerika, und der Tod ist mittlerweile zu einem festen Bestandteil des amerikanischen Alltags geworden.« Die Aneinanderreihung dieser Sätze, die Art und Weise, wie sie voneinander abrücken, als wollten sie einander nicht hören, ist musikalischer als jeder Song, den Ochs jemals geschrieben hat. Aus vielen Gründen, auch aus den von Ochs angeführten, ließ Dylan sich 1968 auf keiner Bühne blicken, mit Ausnahme eines Abends, an dem er gemeinsam mit anderen Woody Guthries gedachte.
Es gab etwas, an das sich die Doors 1968 nicht erst erinnern mussten, als sie versuchten, »The Unknown Soldier« überzeugend und nicht wie einen Witz klingen zu lassen, und das war die Angst. 1968 war die Angst allgegenwärtig. Sie ließ einen nachts nicht einschlafen, und das galt nicht bloß für die Nacht, in der ein Attentäter auf Bobby Kennedy geschossen und in der Norman Mailer, vor der offiziellen Bekanntgabe von Kennedys
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