The Doors
nicht das Elvis-Album war, das Morrison öfter abspielte als alle anderen. Heute kann man ihn dort an allen Ecken und Enden hören.
The Unknown Soldier
im Jahr 1968
»RAY WOLLTE, dass Jim es bis ganz nach oben schaffte«, schrieb John Densmore 1990, als er in seinem Buch Riders on the Storm zurückblickte. »Bis ins Weiße Haus. Sich selbst sah er als Außenminister. Das klang in meinen Ohren wie ein Hirngespinst, aber für Ray lag das offenbar im Bereich des Möglichen. Ich fand, dass Jim zu verrückt war, um so populär zu sein, wie er es bereits war! Der Gedanke, dass er noch mehr Macht bekäme, jagte mir eine ziemliche Angst ein.« Morrison dachte offenbar selber an etwas in der Art. »Es sollte eine Woche der landesweiten Ausgelassenheit geben ... alle Arbeit, alle Geschäfte, alle Diskriminierung, alle Autorität – diese Dinge sollten eine Woche lang ruhen«, sagte er zu seinem Freund Jerry Hopkins, als dieser ihn 1969 für den Rolling Stone interviewte. »Eine Woche der totalen Freiheit. Das wäre ein Anfang. Natürlich würde sich die Machtstruktur nicht grundlegend ändern. Aber irgendjemand von der Straße – ich weiß nicht, wie man den bestimmen könnte, vielleicht per Los – würde in dieser Woche Präsident sein. Jemand anders würde Vizepräsident sein. Andere würden Senatoren, Kongressabgeordnete, Mitglieder des Supreme Court oder Polizisten sein ... Ich habe einmal gesagt: Die logische Erweiterung des Ichs ist Gott. Und ich glaube, die logische Erweiterung des Lebens eines jeden Amerikaners besteht darin, Präsident zu sein.«
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»THE UNKOWN SOLDIER« ist im Grunde kein Song. Es hat diesen Leierkastenrhythmus, der gesangliche Improvisation erlaubt, ansonsten aber nirgendwo hinführt. Die Musik erinnert an das elegante Stoptime-Arrangement, an die vorsichtigen, betrunkenen Schritte – ein Schritt vorwärts, eine Pause, ein Augenblick der Besinnung, dann ein weiterer Schritt – von »Alabama Song (Whisky Bar)« auf dem Debütalbum der Band: Kurt Weills Versuch von 1927, mit Bertolt Brechts kleinem Liedchen Bix Beiderbecke zu sein, Lotte Lenyas Versuch, Bessie Smith oder Sara Martin zu sein, auf Englisch geschrieben und gesungen, in Berlin, wobei Lenyas schwerer deutscher Akzent und der unbeholfene Eifer im Gesang und in der Musik den Reiz dieses Songs ausmachten. Als sich die Doors fast ein halbes Jahrhundert später seiner annahmen, war er so gut gealtert, dass er ihnen wie eine reife Frucht in die Hände fiel. Ihre Version war besser als das Original, wo Lotte Lenya – bei der einem 1967 vor allem die fiese KGB -Offizierin Rosa Klebb im zweiten James-Bond-Film einfiel – die Strophen überstürzte, während sie beim Refrain der Musik hinterherhinkte. Als sie die Nummer nach dem Krieg erneut aufnahm, schliff sie die rohen Ecken und Kanten weg; die beschwipste, von Türpfosten zu Türpfosten stolpernde Frau präsentierte den Song nun mit einem strahlenden Zahnpastalächeln. Die Doors zogen den Papiermascheemond in die Höhe, winkten ihm zu und klopften an die Tür jeder Bar, an der sie vorüberkamen, obwohl es bereits vier Uhr morgens war und die Bars schon vor Stunden geschlossen hatten. Bei »The Unknown Soldier« erinnert sich die Band daran, dass jeder es macht, wie Marcel Janco 1916 in Zürich im Cabaret Voltaire gemurmelt hatte (» everybody is doing it, doing it, doing it «), doch sie erinnert sich nicht daran, wie man es macht.
1968 erklärten viele Leute, so wie es die Doors in »The Unknown Soldier« taten, dass der Krieg vorbei sei. In einem Flüsterton, der vor der Macht seiner eigenen Worte zurückwich, hatte Allen Ginsberg 1966 in seinem Vietnam mit Kansas und Kansas mit Vietnam gleichsetzenden Epos »Wichita Vortex Sutra« verkündet: »Der Krieg ... ist jetzt vorbei« – nur um Minuten später völlig aufgebracht zurückzukehren: »Der Krieg war schon vor mehreren Stunden vorbei!« Warum hat das niemand bemerkt? 1971 hängten John Lennon und Yoko Ono Spruchbänder mit der Parole » WAR IS OVER IF YOU WANT IT « über ihren Betten auf. 1968 versuchten die Doors, das in Szene zu setzen.
Auf Platte, als Single, die es mit Mühe und Not in die Top 40 schaffte, und dann als Track auf Waiting for the Sun, dem schlappen dritten Album der Band und ihrer einzigen Nummer-eins- LP , begann »The Unknown Soldier« mit aus weiter Ferne kommenden, echoartigen Klangeffekten. Man hörte Stiefel, die durch den Song marschierten, von der linken Lautsprecherbox zur rechten, von einer
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