The Doors
Straße gerichtet halten. In dieser langen Minute singt Morrison den gesamten Song in einer anderen Sprache, in einer Sprache, die nur er sprechen konnte, aber die jeder zu verstehen vermochte. Er hat kein Tondokument hinterlassen, auf dem er als Künstler erfüllter, zufriedener klingt als hier, als jemand, der einen Fehdehandschuh hinwarf und sich sagte, sich, dir, allen, die ihm zuhören mochten oder nicht: Das soll mir erst mal einer nachmachen!
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ALS DIE DOORS im November 1969 »Roadhouse Blues« aufnahmen, da waren der im vorausgegangenen März in Miami gegen Morrison erwirkte Haftbefehl, die sich daran anschließenden Konzertabsagen überall in den USA , der für 1970 anberaumte Prozess, die Wahrscheinlichkeit einer Freiheitsstrafe und das dadurch bewirkte Ende der Band nur die offenkundigsten Dämonen. Das Schreckgespenst des von Manson angerichteten Gemetzels schwebte über jedem Prominenten in Hollywood, über jedem Filmstar und seinem Gefolge, über jedem Rock-’n’-Roll-Musiker, als wäre es das Vietnam von L. A. Jeder – Leute, die sich, so wie Neil Young, in Mansons Dunstkreis bewegt hatten, oder Leute, die jemanden kannten, der mit jemandem bekannt war, der zu Manson Kontakt gehabt hatte, also praktisch jeder – war davon überzeugt, dass es eine Todesliste gab und dass diese von den Manson-Jüngern aufbewahrt wurde, die draußen, diesseits der Gefängnismauern, geduldig auf das Wort ihres Messias warteten. Es gab Grund zu der Annahme, dass Mansons Horde bloß die Vorhut – sozusagen die Lumpenavantgarde – eines Netzwerks von Sekten war, die schon seit Jahren den rechten Augenblick abwarteten, seit, wie manche meinten, den 1940er-Jahren, als der englische »Sex Magick«-Hexenmeister Aleister Crowley, John Parsons, der Gründer des Jet Propulsion Laboratory, und L. Ron Hubbard in Pasadena satanistische Rituale vollzogen, um die Hure von Babylon zu beschwören und einen leibhaftigen Antichrist zu zeugen.
Alkohol, Angst: Morrison brauchte nicht mehr als Manson, um sich zu betrinken, oder, was das betrifft, nicht mehr als die schäbige Absteige in Hollywood, in der er gerade nächtigte. Er war schon seit Jahren ein Trinker – der entschlossenste, gewalttätigste, ernsthafteste, nachdenklichste, unfähigste, unzuverlässigste, widerlichste, degenerierteste Trinker, der seinen Freunden, seiner Freundin oder den anderen Mitgliedern der Band jemals untergekommen war. »Was meinst du ... wollen wir über das Thema Alkohol sprechen?«, sagte Morrison 1969 in dem bereits erwähnten Interview mit Jerry Hopkins. »Nur ein kurzer Gedankenaustausch. Keine tiefschürfende Diskussion. Alkohol im Unterschied zu Drogen?« Ein Interview, in dem der Star den Interviewer um die Erlaubnis bittet, über etwas sprechen zu dürfen, was ihm am Herzen liegt? Wann passiert denn so was? »Wenn du dich betrinkst ... hast du bis zu einem gewissen Punkt die totale Kontrolle«, sagte Morrison. »Es ist deine eigene Entscheidung – bei jedem Schluck, den du nimmst. Es ist eine Abfolge von kleinen Entscheidungen. Das ist wie ... ich denke, es ist der Unterschied zwischen Selbstmord und allmählicher Kapitulation.« »Was heißt das?«, fragt Hopkins. »Ich weiß es nicht, Mann«, sagt Morrison, und dann beendet er das Interview im Stil eines echten Showmans: »Komm, lass uns auf einen Drink in die Kneipe um die Ecke gehen.«
All das war in »Roadhouse Blues« enthalten: nicht als eine Autobiografie, nicht als eine Beichte, nicht als ein Hilferuf oder als ein »Fuck you!« an wen auch immer, sondern, wie Louise Brooks gern zitierte, angeblich aus einem alten Wörterbuch, als »eine subjektive epische Komposition, in der es sich der Autor erlaubt, die Welt von seinem eigenen Standpunkt aus zu betrachten«. Beim Mastertake des Songs, und bei fast allen Live-Performances danach, fand »Roadhouse Blues« in der letzten Strophe schließlich zu seiner eigenen Stimme. Es gab noch immer den Anflug einer pseudoschwarzen Diktion, doch das wirkte nun nicht mehr peinlich. So wie sie gesungen wurden, waren es die schmerzlichsten, entschiedensten Zeilen des Songs – die überzeugendsten fatalistischen Zeilen im gesamten Œuvre der Doors.
»Nach dem Krieg«, sagte ein Freund von mir einmal über Eric Ambler, den ruhigen, grüblerischen Verfasser von Spionageromanen, dessen Vorkriegshelden englische Durchschnittsbürger waren, die sich in den 1930er-Jahren im Netz des aufkommenden europäischen Faschismus verfingen, und dessen
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