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The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
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»experimental work in progress«, welches erst Jahrzehnte nach dem Ableben der Band veröffentlicht wurde. Bei »My Wild Love« konnte man nicht bestimmen, wo man war, und man wusste nicht, wo der Song einen hinführen würde, doch man spürte, dass es sich dabei um einen Ort handelte, wo man – der Zuhörer ebenso wie die Musiker – vorher noch nie gewesen war. In sich selbst eintauchend, in den uralten europäischen Wald, wobei der Tag mit jedem Schritt dunkler wurde, war dies ein Hinweis, so wie die erste Seite eines Märchens in einem Buch, aus dem die übrigen Seiten herausgerissen worden sind, eine unerzählte Geschichte, die Verheißung einer Reise, die nie ein Ende nehmen würde, der Gesang, wie er seinen Wald offenbart, der Wald, wie er seinen eigenen Gesang hervorbringt. Wo kam dieser Song her? Auf diesen Alben offenkundig von nirgendwo, obgleich man Fragmente der Geschichten, die er nicht erzählte, in »The End« und in »When the Music’s Over« hören konnte. Und wo führte dieser Song hin? Zu »Roadhouse Blues«.
    Schon am ersten Tag im Studio, am 4. November 1969, als die Band den Song aufzunehmen versucht, ist Kriegers pulsierende, das nackte Skelett des Rhythmus skizzierende Fuzz-Tone-Eröffnung bereits beim ersten Versuch vorhanden, einem mit »Talking Blues« betitelten Fragment. »Me and my baby walking down the street«, singt Morrison mit schleppender Stimme, wobei er so klingt, als würde er genau das tun. »We’s been friendly to every person we meet/ Say, hi, neighbor, how you doin’? Hey, Dylan, how you doin’?« – als liefen sich die beiden gerade auf dem Cover von The Freewheelin’ Bob Dylan , einem von Morrisons Lieblingsalben, über den Weg. Bei dem ersten richtig betitelten Take von »Roadhouse Blues« gibt es erneut diesen Riff und sonst nichts. Die Rhythmen brechen auseinander; während Krieger voranprescht, voller Energie, voller Ehrgeiz, fällt er hinter seinem eigenen Beat zurück. Alles klingt irgendwie daneben, doch man spürt den festen Willen, die Entschlossenheit der Band: Hey, wir haben hier möglicherweise was, und wenn wir uns anstrengen, bekommen wir es vielleicht zu packen. »Worauf es ankam, war, sozusagen im tiefen Dunkel zu arbeiten«, schrieb George Grosz über sein Leben als Dadaist in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg; die Herausforderung bestand darin, das Dunkel offenkundig zu machen. Und genau dahin sind sie stolpernd unterwegs.
    Vielleicht erinnert sich Morrison an eine Nacht im Whisky, wo Them dem torkelnden »Back Door Man« der Doors ihr eigenes Todesrennen durch »Baby Please Don’t Go« folgen ließen, denn Letzteres ist der Song, den er nun singt oder um den er herumsingt. Es ist ein Wegweiser, eine Orientierungshilfe. Morrison gibt Nonsenswörter von sich, Silben, die blindlings zusammenstoßen, doch das Ganze ist ein Versuch, den Beat zu finden, der sich nicht offenbaren will, ein Versuch, den Beat dazu zu bewegen, der Band wenigstens den groben Umriss eines Songs zu geben. Es folgt ein deplatziert wirkendes Gitarrensolo. Morrison beginnt eine Strophe, die er geschrieben hat, »Woke up this morning« – doch dann schreckt er davor zurück, als seien ihm seine eigenen Worte peinlich oder als schäme er sich ihrer. Er singt in einem affektierten, pseudoschwarzen Tonfall – »Well, ah woke up this moanin’« –, und es scheint fast so, als verstecke er sich vor seinem Gesang. Seine Stimme verschluckt sich selbst, das Ganze klingt so, als singe er mit geschlossenem Mund. Morrison kehrt wieder zu Wörtern zurück, die keine Wörter sind, zu Klängen, die im vollendeten Song folgendermaßen lauten könnten:
    Beep a gunk a chucha
Cronk cronk cronk
You gotta eatch you puna
Eatch ya bop a lula
Bump a kechonk
Ease sum konk
    Doch hier ist die ganze lange Passage noch nicht einmal ansatzweise zu transkribieren: Es ist ein um seiner selbst willen veranstaltetes Wettrennen gegen die Sprache. »Speak in secret alphabets« – Morrison hielt sich für einen Dichter, und vielleicht konnte er ja tatsächlich in geheimen Alphabeten sprechen. Lyrik will an den Anfängen der Sprache beginnen oder noch davor, um alltägliche Wörter so zu verwenden, als hätte sie vorher noch niemand gehört. War dies möglicherweise das, was im dritten Take des Songs geschah? Was immer es sein mochte, die Doors hatten sich vorher noch nie diese Sprache sprechen gehört, eine Sprache, die eher ein Zungenreden war als ein bewusst eingesetztes Stilmittel, Laute, die der Körper

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