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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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werde. Dann wirst du allein sein. Und du wirst zu den Schwestern zurückgeschickt werden.« Sie macht eine Pause, und als würde sie meine Gedanken lesen, fügt sie hinzu: »Und ich glaube nicht, dass Travis mich deinetwegen abweisen wird. Das würde er seinem eigenen Bruder nicht antun. Du musst doch begreifen,
dass alles, was er für dich einmal empfunden haben mag, nun weg ist, nachdem Harry offiziell um dich angehalten hat. Nun, da du die Frau seines Bruders wirst.«
    Ihre Worte treffen mich ins Mark. Noch nie habe ich sie so gesehen, so bitter, schneidend und aufgewühlt. »Aber, Cass, was soll das denn? Du liebst Travis nicht. Und er liebt dich nicht!« Ich bin harsch und grausam, ich weiß, aber sie muss der Wahrheit ins Auge sehen.
    Doch sie guckt mich an, als ob sie das nicht verstanden hätte, und dann lacht sie. »Bei der Ehe geht es nicht um Liebe, Mary«, sagt sie wie eine Lehrerin, die mit einem Schüler redet. »Es geht um Bindung, Kompromiss und die Sorge füreinander. Mit Liebe hat das noch nie etwas zu tun gehabt.«
    Ungläubig schüttele ich den Kopf. »Aber du hast gesagt, du liebst Harry, und trotzdem bist du bereit, ihn aufzugeben. Warum?«
    Wieder zuckt sie die Achseln. »Ich tue, was das Beste für ihn ist. Und für das Dorf. So muss es sein, Mary. So wird es sein.«
    Ich möchte sie schütteln, damit sie es kapiert. Sie klingt genauso wie Schwester Tabitha, als würde sie nicht begreifen, welche Entscheidungen sie da trifft. Mir wird klar, wie stark der Einfluss der Schwestern auf uns alle ist, wie fest sie uns an ihren Glauben gebunden haben.
    Ich mache den Mund auf und will weiter mit Cass streiten, aber ihr Blick, diese Wildheit, ist zu nervenaufreibend. Meine beste Freundin versetzt mich zum ersten Mal in Schrecken.

    Doch sie hat auch recht. Selbst wenn ich Harry abweisen würde, Travis hielte nicht um mich an. Niemals würde er seinem Bruder etwas derart Peinliches oder gar Schmerz zufügen. Es ist, als ob jede Tür in meinem Leben zugeschlagen und jedes Fenster vernagelt wird, bis mir nur noch ein Weg bleibt, den ich gehen kann. Entweder Harry oder die Schwesternschaft, das ist meine Wahl.
    Und so lasse ich die Schultern sinken und lenke ein. »Okay«, sage ich.
    Sie nickt ein Mal. Dann sagt sie: »Du musst Travis loslassen. Heute. Hier.«
    Ich will schon protestieren, aber ihr Blick verschreckt mich und ich bleibe stumm. Ob wir je wieder Freundinnen werden oder ob das hier unser Ende ist? Selbstverständlich werden wir immer höflich zueinander sein, das Dorf ist zu klein, um sich zu bekriegen, aber werden wir je wieder alles miteinander teilen, so wie früher?
    Plötzlich fühle ich mich, als hätte ich keinen Boden mehr unter den Füßen, als hätte ich alles auf einmal verloren und brauchte etwas zum Festhalten. Mein Leben rast an mir vorüber, immer war Cass an meiner Seite, hat sich meine Geschichten angehört, mit mir gelacht und das Leben mit mir geteilt. Erinnerungen an unsere Freundschaft steigen in mir auf und Tränen brennen mir in den Augen. Ich brauche Cass jetzt, ich kann nicht auch noch diese letzte Bindung an all das verlieren, was ich einmal gewesen bin.
    »Versprich mir«, sage ich. »Versprich mir, dass wir immer
noch Freundinnen sind und weiterhin füreinander da sein werden.«
    Sie lächelt, das erinnert an die alte Cass, der Duft von Sonnenstrahlen schwebt durch die Luft. »Ja«, sagt sie. Und ich kann nur denken, wenn es doch bloß so einfach wäre. Mir fällt nämlich ein, dass sie immer einen anderen im Münster besucht hat, niemals mich.
    Ich schaue den Gang hinunter an Travis’ Tür vorbei, dahin, wo die Außenseiterin gehalten wurde. Ihre Tür steht einen Spaltweit offen, ein dünner Lichtstrahl fällt nach draußen. Ich schiebe Cass aus dem Weg, laufe zu dem Zimmer, aber es ist leer, kein Leinen auf dem Bett oder irgendein anderer Hinweis darauf, das vor Kurzem noch ein Gast diesen Raum bewohnt hat. Ich hätte es wissen müssen. Das Fenster ist schon seit Tagen dunkel.
    Cass steht hinter mir in der Tür, ganz offensichtlich verwirrt. Aber anstelle einer Erklärung gehe ich lieber zum Fenster und lege den Kopf schräg, bis ich den Abdruck einer Hand sehen kann. Die Handballen sind deutlich zu erkennen. Ich trete näher heran, mein Atem trifft aufs Glas, und in dem Beschlag, der zurückbleibt, erscheint plötzlich Schrift.
    Gabrielle steht da und dahinter eine Folge von Buchstaben: XIV . Außer diesem Nachhall gibt es keinen Beweis dafür, dass sie je

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