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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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tut mir weh zu sehen, dass die Dunkelheit in ihre Seele eingedrungen ist und von ihr Besitz ergreift.

    Ich lasse den Kopf zwischen die Knie sinken. Plötzlich kommt es mir ganz sinnlos vor, dass ich kleine Metallstücke mit Buchstaben drauf gefunden habe. Es ist, als hätte die Welt ihren Schlund aufgerissen. Es ist, als wäre die Realität wieder über uns hergefallen, um uns daran zu erinnern, wie ungerecht das Leben ist, wie sinnlos der Versuch weiterzuleben, wenn man von nichts als Tod umgeben ist. Unaufhörlichem, unerbittlichem Tod.
    Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne und die Welt um uns herum wird dunkel und kalt. Der Wind frischt auf und weht ein wenig durch die Bäume, die Blätter zeigen ihre weißen Unterseiten. Der Geschmack von Regen legt sich auf meine Zunge, und in der Ferne höre ich das leise Stöhnen der ruhenden Ungeweihten, die sich erheben, um uns zu finden. Die meine Schritte gehört und meinen Geruch wahrgenommen haben.
    Ich beschließe, nichts von den Buchstaben zu erzählen, ihnen diese Hoffnung nicht zu geben. Ich will Cass nicht noch einmal zusammenbrechen sehen, will die Last ihrer Erwartungen nicht tragen.
    Was, wenn die Buchstaben keine Bedeutung haben? Wenn der Pfad nirgendwohin führt? Was, wenn wir das Rätsel lösen, was, wenn wir ein Ende erwarten und dann keins finden? Dass ich von der Kennzeichnung der Pfade weiß, ist genug. Dass ich nach Gabrielles Buchstaben suche, reicht aus.
    Vielleicht führen alle Wege zu den Ungeweihten.Vielleicht sind sie das Schicksal, dem keiner von uns je entgehen
kann – so sicher wie der Tod. Ich frage mich, ob ich vielleicht recht hatte als Kind, dass es so etwas wie das Meer nicht geben kann. Kein Ort kann so groß sein, dass er unberührt von der Rückkehr ist.

20
    N achdem Beth beerdigt ist, kommen Harry und Travis wieder den Weg herunter zu der Stelle, an der Cass und ich schweigend sitzen und Jakob beim Schlafen beobachten. Seine knochigen Schultern heben und senken sich in einem hypnotischen Rhythmus. Harry verkündet den Plan, solange es noch hell ist, zurückzugehen und an der vorigen Weggabelung das Lager aufzuschlagen.
    Ich lasse sie gehen und mache mich zum Ende der Sackgasse auf. Dort steht Jed neben einem Erdhügel. Ich kann sehen, wie schwer der Kummer auf ihm lastet, seine Schultern sind gebeugt, die Arme hängen schlaff herunter, als ob kein Leben mehr darin wäre.
    »Es war die Rote, die sie erwischt hat«, sagt Jed, den Blick auf die Erde gerichtet, die sich jetzt mit dem Fleisch seiner Frau verbindet. »Sie war zu schnell. Zu heftig. Beth war …« Er schluckt. Schweigt.
    »Beth war wieder schwanger«, sagt er schließlich. Seine Stimme bricht, und ich zögere, ehe ich an seine Seite trete, ehe ich mir seinen Arm auf die Schultern lege, um seinen Kummer mitzutragen.

    Einen Augenblick lang fürchte ich, dass er mich von sich stoßen wird. Aber dann lehnt er sich an mich. Ich bin das Einzige, was ihn aufrecht hält, und endlich merke ich wieder, dass wir Bruder und Schwester sind. Das Band, das in unserer Kinderzeit geknüpft wurde, ist zu fest, um zu zerreißen.
    »Jed«, sage ich. Doch ich halte inne und atme tief durch. Ich fürchte, ich könnte diesen Augenblick zerstören. »Was ist Beth passiert? Wie hat sie sich angesteckt?«
    Ein Kiesel rollt den Erdhügel hinunter und bleibt vor seinen Füßen liegen. Er lässt mich los und bückt sich danach. Dann reibt er den Stein zwischen Zeigefinger und Daumen. »Wir waren auf dem Weg zum Münster«, sagt er. »Wir wollten Schwester Tabitha sagen, dass Beth schwanger war, damit sie mit den anderen Müttern bei der Zeremonie des letzten Gelöbnisses gesegnet werden konnte.«
    Mein Gesicht wird ganz heiß bei der Erinnerung daran, was an unserem letzten Tag stattfinden sollte.
    Er blinzelt in den Wald hinein. »Wir haben die Sirene gehört und uns in ein leeres Haus geflüchtet. Ich wollte es gerade abriegeln, als du mit Harry vorbeigerannt bist. Ich habe beobachtet, dass du auf den Pfad zugelaufen bist, und mir wurde klar, dass du die einzig richtige Idee hattest. Man konnte nur auf dem Pfad überleben. Und ich hatte solche Angst um dich, Mary. Aber Beth«, er schüttelt den Kopf, als er daran zurückdenkt, »sie wollte nicht den Pfad entlanggehen. Sie war zu ängstlich. Sie wollte auf die Plattformen. Sie meinte, dass sie da in Sicherheit
wäre. Das hatte man uns ja immer erzählt. Und sie hat mich nicht verstanden, als ich ihr zu erklären versuchte, dass der Pfad sicher ist.

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