The Forest - Wald der tausend Augen
Pfad nehmen, der uns von ihr wegführt.« Sie zeigt zu der Stelle, an der Gabrielle sich mit derselben Wucht gegen den Zaun wirft wie anfangs, als sie uns entdeckt hat. Ihretwegen mussten wir im Gänsemarsch diesen schmalen Pfad entlangwandern. Wären wir nebeneinander gegangen, hätten wir befürchten müssen, dass sie einen von uns erwischt.
»Da hat Cass recht«, sagt Travis. »Wenn wir die linke Abzweigung nehmen, kann sie uns auf keinen Fall folgen.«
Alle sind einverstanden. Jed hilft Beth beim Aufstehen und wir trotten den linken Pfad entlang, während wir Gabrielle am Zaun zerrend hinter uns lassen. Ohne ihre ständige Präsenz wirkt der Pfad beinahe verlassen, und ich merke, dass ich sie vermisse.
In der Hitze dieses Tages kommen wir an zwei weitere Gabelungen des schmalen Pfades und jedes Mal wählen wir willkürlich eine Richtung. Als die Dämmerung anbricht und die Entfernungen nicht mehr so deutlich auszumachen sind, bleibt Harry, der vorangegangen ist, plötzlich stehen.
»Das ist eine Sackgasse«, sagt er.
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W as?«, kreischt Cass. Ihre Stimme hat einen hysterischen Unterton und sie geht um Harry herum und überzeugt sich selbst. Dann hämmert sie auf das Zaunstück am Ende des Pfades ein. Dabei erinnert sie mich an die Ungeweihten, die immer das begehren, was auf der anderen Seite ist.
Schließlich nimmt Travis sie in die Arme. Er beruhigt sie und wiegt sie langsam, Harry stellt sich hinter sie und legt ihr eine Hand auf die Schulter. Gemeinsam stillen sie Cass’ herzzerreißendes Schluchzen. Sogar Argos trottet an ihre Seite, lehnt sich an sie und leckt ihr die Hand. Sie klammert sich an Travis. Ihre Finger bohren sich in seine Schulter, ich beobachte das mit Eifersucht, etwas Besitzergreifendes liegt wie ein kleiner Stein auf dem Grund meines Magens.
»Nutzlos«, murmelt Cass. »Alles.Wir haben alles verloren. Meinen Vater, meine Mutter … meine Schwester …« Sie kann kaum atmen und ich sehe Tränen in Travis’ und Harrys Augen. »Weg«, sagt sie. »Alle sind weg. Tot. Und wir …« Wieder schaudert sie, ihr ganzer Körper zittert.
»Wir … der Pfad, oh Gott …« Ihre Worte gehen in Gewimmer über. Travis zieht sie fester an sich und streicht ihr übers Haar, damit sie sich beruhigt.
Es brennt in meiner Kehle, ich fange an zu würgen, aber es kommt nichts hoch und niemand bemerkt es. Am liebsten möchte ich Cass aus seinen Armen reißen, aber ich gehe um Beth herum, die sich auf dem Boden zusammengerollt hat, und laufe ein paar Schritte den Pfad zurück, um Abstand zu gewinnen. Ich versuche, tief durchzuatmen, bin aber noch immer zu erschüttert. Ich kenne ihren Schmerz. Ich verstehe ihn, ich habe mit dieser Wehmut gelebt. Ich sollte Mitgefühl haben, ich weiß, dass wir alle in einem Boot sitzen. Aber ich kann nichts gegen diese Hitze, diese Wut tun, die in meinem Bauch aufwallt.
»Wir sollten hier übernachten«, ruft Jed. »Ich glaub nicht, dass Beth heute noch weiter laufen kann.« Ich warte darauf, dass er ihnen sagt, warum. So wie er es versprochen hat. Dass er ihnen mitteilt, dass sie sich angesteckt hat.Aber er sagt nur: »Seit sie ihre Eltern verloren hat, ist sie so verzweifelt.«
Ich stapfe davon, aber Jed hat mich eingeholt, ehe ich außer Hörweite der Gruppe bin.
»Es hat keinen Sinn«, sagt er. Ob er Travis, Harry, Beth oder den Pfad meint, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich voller Wut bin über alles, was passiert ist. Wie ein Blitzgewitter durchzuckt sie meinen ganzen Körper, diese Wut.
Ich muss einfach lachen, ein rauer Klang in meiner
Kehle. »Willst du darüber reden, was keinen Sinn hat, Jed?«, frage ich, weil ich Lust habe, um mich zu schlagen, und weil er am dichtesten dran ist. »Was ist denn mit Beths kleinem Geheimnis, das du für dich behältst?« Das sage ich laut, weil ich will, dass alle es hören. Wie beabsichtigt schauen mich Travis und Harry an, als ich den Namen ihrer Schwester ausspreche.
Plötzlich habe ich das tiefe Verlangen, Travis zu verletzen, der mit Cass im Arm dasteht, deren Finger sich besitzergreifend um sein Handgelenk gelegt haben.Weil ich ihn so wahnsinnig begehre und weil er nicht vor meiner Nacht mit Harry gekommen ist, um mich für sich zu fordern. Weil er nicht gekommen ist, ehe alles so kompliziert und hässlich geworden ist.
»Sag’s ihnen, Jed«, sage ich.
Travis schaut mich noch immer fragend an.
»Du hast versprochen, es zu tun. Erzähl ihnen, dass Beth schon tot ist. Erzähl ihnen, dass du dich geweigert
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