Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
Vom Netzwerk:
hast, sie zu töten. Und dass du uns alle in Gefahr bringst.«
    Ich rühre mich nicht von der Stelle, als ich Jeds Hand auf mich zukommen sehe, als ich das Brennen auf der Wange spüre. Ich zucke nicht einmal zusammen oder hebe die Hand, um das Stechen zu lindern.
    Offensichtlich hat Travis noch immer nicht begriffen, was hier vorgeht. Beth wacht auf, als sie ihren Namen hört. Sie merkt, dass wir sie alle anstarren, und setzt sich schnell auf. Dabei rutscht ihr der Schal von den Schultern und gibt den Blick auf die eiternde Wunde darunter frei.
Harry jault auf wie ein verwundetes Tier, fällt auf die Knie und kriecht auf seine Schwester zu.Travis steht einfach nur da und starrt mich an. Hitze lodert in meinem Körper auf. Schon verabscheue ich mich und die Scham überflutet und ertränkt mich. Ich drehe mich um und renne den Pfad hinunter.
    Wenigstens weiß ich, dass Travis jetzt ebensolchen Schmerz empfindet wie ich.

    Ich streife die verschiedenen Pfade entlang, an jeder Gabelung lasse ich Steinhaufen oder Zweige liegen, damit ich den Weg zurück finde. Wenn ich doch irgendetwas Hilfreiches entdecken könnte, irgendwas, das ich als Wiedergutmachung mitbringen könnte und als Beweis, dass wir in die richtige Richtung gehen. Dass wir nicht durch den Wald irren werden, bis wir verhungert oder verdurstet sind.
    Doch ich finde nichts – nur den endlosen Pfad mit Brombeeren und wucherndem Gras. Durch den Maschendraht winden sich tote braune Ranken mit Knospen, die vielleicht einmal Blüten hätten werden können. Jetzt hängen sie schlaff und vertrocknet herab.
    Schließlich bin ich wieder an der ersten Gabelung angekommen, ich setze mich hin und starre in den Wald. Still ist es hier, die Ungeweihten haben sich beim Geräusch meiner Schritte nicht erhoben.
    »Gabrielle?«, frage ich die Stille. Zuerst hat meine
Stimme noch etwas Vorsichtiges, doch dann werde ich mutiger. »Gabrielle!«, rufe ich. Wenig später höre ich ein Tier durchs Unterholz brechen, dann schießt sie in ihrer grellroten Weste zwischen den Bäumen hervor und wirft sich gegen den Zaun. Nicht auf ihren Namen hat sie reagiert, sondern auf meine Existenz. Sie kommt nicht, weil ich sie gerufen habe, sondern weil sie nach mir giert.Weil sie hirnlos und hungrig ist und nichts anderes kennt als das Verlangen nach Menschenfleisch.
    Sie wirkt ein bisschen langsamer, so als würde ihr Körper sich zerreißen bei der Anstrengung, so viel Energie aufzubringen. Doch mit ihren Fingern langt sie immer noch durch die Maschen im Zaun nach mir und ihr Mund drückt sich gegen den Draht, denn es könnte ja sein, dass ich zu nahe herankomme.
    Ich spiele mit dem Gedanken, einen Finger durch den Zaun und ihr in den Mund zu stecken. Soll sie mich verzehren und anstecken. Dann wäre ich fertig mit dem Pfad und der Sehnsucht, die so unerträglich schmerzhaft ist.
    Irgendwo da draußen im Wald ist meine Mutter.Wenn ich eine Ungeweihte wäre, könnte ich sie vielleicht finden. Ich habe mich schon immer gefragt, ob es wohl einen Funken des Wiedererkennens gibt zwischen den Ungeweihten, ob sie wie wilde Tiere sind, die etwas so Tiefes und Wahres verstehen wie Liebe.
    Ich strecke die Hand aus und drücke meinen Finger auf den Nagel ihres kleinen Fingers, des einzigen Fingers, der nicht abgeknickt und gebrochen ist bei dem Versuch, den Zaun zu durchbrechen.

    »Wer bist du?«, frage ich. Ihre Augen sind jetzt zerkratzt und milchig blau. Sie sieht mich nicht, das weiß ich.
    Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen auf mein Hemd. »Ist es leichter auf der anderen Seite?«, frage ich sie. Immer noch streiche ich über ihren kleinen Finger. Sie will meine Hand packen, doch so geschickt ist sie nicht mehr.
    Sie ist nicht viel größer als ich und ähnlich gebaut. In einer anderen Zeit hätte man uns für Schwestern halten können, doch ihre Nase, die einmal lang und gerade war, steht jetzt schief, der Knochen hat den Nasenrücken durchbohrt.
    »Es tut mir leid«, sage ich.
    Ich wünsche mir so sehr, dass sie mich hört. Dass sie verstehen kann. Aber sie kratzt immer weiter, und während die Sonne am Himmel tiefer sinkt, weine ich dicke Tränen.
    Dann wische ich mir die Nase mit der Hand und will mich gerade umdrehen und sie verlassen, da schimmert etwas im Gras, dort, wo die Pfade zusammenlaufen. Ich blinzele und drehe den Kopf hin und her, aber ich sehe es nicht mehr, also gehe ich zur Zaungabelung und stampfe auf die Erde.
    Ein winziges Klimpern ist zu hören, ich lasse mich auf

Weitere Kostenlose Bücher