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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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will wieder zu Travis gehen, da pfeift an Pfeil an meinem Kopf vorbei in den Dachboden. Ein kurzes Aufjaulen und Travis stürmt mit der Hand auf dem Arm aus der Dunkelheit drinnen, Blut sickert durch seine Finger.
    Über die Kluft hinweg funkelt er Harry an, der immer noch mit der Armbrust dasteht und mit hilfloser Miene die Achseln zuckt. »So ein Pech, dass Argos hier bei uns ist«, sagt Travis zähneknirschend. »Würde er die Armbrust bedienen, würde ich mich viel sicherer fühlen.«
    Ich will seine Hand wegziehen und mir die Wunde ansehen. »Ist nur ein Kratzer«, sagt er und wehrt mich ab. Dann macht er sich wieder an das Sortieren der Kleider, und als er von einem rosa Rüschenkleid einen Streifen abreißt, den er sich um den Arm wickelt, um das Blut zu stillen, muss ich einfach lachen.
    Ich ziehe den Pfeil aus dem Holz und wickele die Botschaft ab.
    Was jetzt?, steht da in krakeliger Schrift. Die Antwort weiß ich nicht, deshalb lasse ich den Pfeil fallen und helfe Travis mit den Kisten. Ich knie mich neben ihn und lege ihm die Hand auf die Schulter.
    Er ist in die Hocke gegangen und reibt sich den Oberschenkel, der zu schmerzen scheint. Als er den Kopf hebt und mich anschaut, sehe ich, wie schwer seine Sorgen wiegen.

    »Wir schaffen das«, versichere ich ihm. Aber wir wissen beide, dass wir es vielleicht nicht schaffen werden. Dass dieser Dachboden unser Grab werden könnte.
    Argos jault, ein weiterer Pfeil saust in den Bodenraum und bleibt im Fußboden stecken. »Ich sollte die Tür schlie-ßen, solange Harry versucht, Botschaften zu schicken«, sagt er.
    »Sie machen sich Sorgen«, sage ich. »Sie wollen helfen.«
    Travis zieht den Pfeil aus dem Bodenbrett, ohne die Nachricht zu lesen, wirft er ihn in eine dunkle Ecke. »Wir haben keine Zeit, uns um sie zu kümmern. Wir müssen selbst sehen, wie wir hier rauskommen.«
    Auf einmal sinkt er vor den Kisten in sich zusammen. Ich erhasche einen flüchtigen Blick auf sein Profil und sehe die Anspannung, die er vor mir zu verbergen versucht hat.
    »Mary.« Er schaut auf seine zu Fäusten geballten Hände, deren Knöchel ganz weiß sind. »Merkst du was? Ich meine …« Ich beobachte, wie sich seine Kehle zusammenschnürt, als er schluckt. »Kannst du es fühlen?«
    Er hat furchtbare Angst vor dieser Frage, die in der Luft hängen bleibt wie ein ekliger Geruch.
    »Ich habe mich nicht angesteckt«, antworte ich mit fester, kräftiger Stimme. Das scheint ihn nicht zu überzeugen. »Glaubst du nicht, dass ich spüren würde, ob ich infiziert bin? Glaubst du nicht, dass die Infizierten fühlen, wie der Tod sich durch ihre Adern frisst?«
    Darüber denkt er nach und er scheint meine Antwort zu akzeptieren.

    »Würdest du es mir sagen, wenn es so wäre?«, fragt er und schaut mich an.
    Ich will ihm schon sagen, dass ich das selbstverständlich tun würde, aber das kann ich nicht.
    »Erst kurz vor dem Ende«, sage ich. Denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, ihm das Herz zu brechen, ehe es unbedingt sein muss.
    Er will etwas einwenden, aber dann schaut er nur auf die Kleider, die auf dem Boden herumliegen. Das Pochen der Ungeweihten erschüttert den Fußboden unter uns und sein Gesicht nimmt den harten, angespannten Ausdruck von Entsetzen und Entschlossenheit an.
    »Kümmer dich nicht um die«, sagt er, und ich weiß nicht, ob er die Ungeweihten meint oder die anderen da draußen auf der Plattform. »Hilf mir, diese Laken zu zerreißen und zu verknoten. Du musst sie zusammenflechten, wenn sie nicht kräftig genug sind. Wir benutzen sie als Seil.«
    Ich nicke und setze mich vor einen Kleiderhaufen, reiße Stoff in Stücke und winde ihn zu kräftigen Stricken. Das erste Kleid, das ich in die Hand nehme, ist das grüne, das ich vor so vielen Wochen getragen habe. Die Gedanken an die Frau, der dieses Kleid einmal gehört hat, muss ich unterdrücken, als ich es zerfetze. Der Stoff reißt mit einem anklagenden Geräusch.
    Travis geht auf die Terrasse und zieht die dicken Seile hoch, die nutzlos auf den Boden baumeln. Sie waren einmal Teil einer Brücke. Mit seinem gesunden Fuß kickt er
die Holzlamellen raus, während er das Seil zu einem unordentlichen Haufen aufwickelt.
    »Reicht das bis zu ihnen rüber?«, rufe ich.
    »Das kriegen wir schon irgendwie hin«, antwortet er, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen. Seine Finger fliegen förmlich, als er die verschiedenen Stücke des Seils zu einem einzigen verknotet.
    Unter mir zittert der Fußboden, Argos spürt das auch,

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