The Haunted
Ich warf einen Arm über den Kopf, ich zählte Schäfchen, ich rief mir die Namen sämtlicher Vizepräsidenten ins Gedächtnis. Zwei Mal. Aber nichts funktionierte. Ich konnte nicht einschlafen.
Ich war mir sicher, ich würde wegdösen und Albträume von Kristen haben. Aber ich träumte überhaupt nichts, weil ich überhaupt nicht schlief – das zeigte sich allzu deutlich mit jeder halben Stunde, die auf meinem Wecker verstrich.
Um halb drei gab ich auf. Es war sinnlos, weiter im Bett liegen zu bleiben.
Ich setzte mich ans Fenster und grübelte noch einmal über alles nach. Der Mond schien herein und tauchte meine Arme und Hände in Silbergrau. Immer wieder ließ ich mir die Sache durch den Kopf gehen und betrachtete sie sorgfältig von verschiedenen Blickwinkeln. Ist Vincent Kristens D.? Warum sollte er mir sonst einen anderen Namen nennen? Wie haben die beiden sich kennengelernt?
Es leuchtete mir nicht ein. Wie sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er der geheime Freund war, den Kristen vor mir verborgen hatte.
Ich saß eine ganze Stunde am Fenster, was ich allerdings erst merkte, als ich wieder auf die Uhr sah. »Vergiss es«, murrte ich. Ich musste mit Caspian reden. Mein Kopf würde zerspringen, wenn sich das ganze Chaos nicht bald ordnete.
Ich schlüpfte in Jeans und Sneaker, zog mir eine Kapuzenjacke über mein Tanktop, machte den Reißverschluss zu und kletterte aus dem Fenster. Nachdem ich mich vorsichtig auf den Boden hatte fallen lassen, zog ich die Kapuze in die Stirn und steckte die Hände in die Taschen. Auf den Straßen regte sich nichts. Mit gesenktem Kopf lief ich Richtung Friedhof, wobei ich den ganzen Weg darüber nachgrübelte, wie ich Caspian am besten von Vincent erzählen sollte. Ich hoffe, er ist in seiner Gruft und streunt nicht wieder irgendwo herum. Wir müssen wirklich ein System finden, wie ich ihn in Zeiten wie diesen erreichen kann.
Auf meinen Rücken fiel Scheinwerferlicht, als ich den Hügel zum Friedhof hochlief. Ich drehte mich kurz um. Das Licht blendete mich, ich lief weiter. Am liebsten wäre mir gewesen, das Auto hätte beschleunigt und wäre an mir vorbeigefahren. Stattdessen wurde es langsamer und blieb in konstanter Entfernung hinter mir.
In dem Moment, als ich mich noch einmal umdrehen wollte, bog es in eine Seitenstraße ab. Das Herz schlug mir bis zum Hals, ich wartete kurz, um zu sehen, ob das Auto zurückkam.
Es kam nicht zurück.
Eilig lief ich weiter und überquerte die Straße, um durch das Haupttor zu schlüpfen. Als ich mich gerade hindurchgequetscht hatte, hörte ich, wie sich wieder ein Wagen näherte. Ich drückte mich an die Mauer neben dem Eingang und hielt den Atem an. Irgendwie ahnte ich, dass es derselbe war, der mir gefolgt war, und ich hatte einen fürchterlichen Verdacht, wer am Steuer saß.
Schließlich wagte ich es, den Kopf noch einmal durchs Gitter zu stecken, und sah einen schwarzen Ford Mustang langsam an mir vorbeifahren. Im Licht der Straßenlampen erkannte ich das dunkle Haar des Fahrers. Sein linker Arm hing aus dem offenen Fenster. Vincent!
Hastig zog ich den Kopf zurück. Hatte er mich erkannt? Hatte er gesehen, wie ich durch das Tor gegangen war?
Panisch presste ich die Handflächen gegen die Mauer in meinem Rücken und legte den Kopf zurück, um den Nachthimmel zu betrachten. Er war kohlrabenschwarz, kein einziger Stern war zu sehen. Angst stieg in mir hoch, eine Angst, wie ich sie noch nie gehabt hatte.
Die Dunkelheit umschloss mich und nahm mir fast die Luft zum Atmen. Die unförmigen Grabsteine und die Äste der knorrigen Bäume wirkten grotesk, sie winkten mich näher – oder mahnten mich fernzubleiben.
Ich stellte mir vor, dass sich Ichabod Crane wohl so gefühlt haben musste, als er am Friedhof vorbeigekommen war und die schicksalsträchtige Brücke gesehen hatte. Wenn ich über die hohe Friedhofsmauer sehen könnte, würde auch ich die Unheil verkündende Brücke erkennen, die auf mich wartete.
Mein Atem ging schneller und schneller. Ich keuchte und japste nach Luft, meine Brust schmerzte, ich bekam Seitenstechen. Was war das? Ich spitzte die Ohren. Schritte? Hufe? Hinter geschlossenen Augen sah ich feurigen Atem, einen fehlenden Kopf, Augen, die rot im Dunkel glühten und …
Und dann öffnete ich die Augen.
Und sah und hörte nichts. Keine Schritte, kein unheimlicher Reiter, nichts, was hinter mir her war.
Ich lockerte die Arme und mein ganzer Körper entspannte sich. Der
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