The Homelanders - Im Visier des Todes (Bd. 4) (German Edition)
kurzen Augenblick, bevor mich ein unvorstellbarer, stechender Schmerz durchfuhr. Mein Gehirn verwandeltesich in Watte und meine Muskeln wurden zu Gummi.
Dann spürte ich nur noch, dass ich fiel, immer tiefer und tiefer.
3
R EISE IN DIE V ERGANGENHEIT
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis die Wärter mich in meiner Zelle auf den Boden warfen, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Als die Zellentür hinter mir einrastete, blieb ich einfach liegen, wo ich war, verletzt, zerschlagen und blutend.
Dunbar hatte mich in den Anbau gebracht, mich mit seinen Fäusten bearbeitet, getreten und mein Gesicht auf den Zementboden geschlagen. Das Funkeln in seinen farblosen Augen verriet mir, wie sehr er es genoss.
Als er mit mir fertig war, ging er zur Tür und rief nach den Wärtern. Kurz darauf kamen zwei von ihnen herein, packten mich unter den Armen und schleiften mich aus dem Anbau. Mein Kopf hing herunter und meine Fußspitzen schrammten über den Betonboden. Dann zerrten sie mich in den Zellentrakt und fluchten unablässig, weil ich so schlaff und schwer war.
Sie schleppten mich eine scheppernde Metalltreppe hinauf und dann über den Laufgang der zweiten Etage. Die Häftlinge beobachteten mich stumm und mit ausdruckslosen Augen aus ihren Zellen, als ich an ihnen vorbeikam.
An meiner Zelle glitt die verriegelte Tür auf und die Aufseher warfen mich hinein, als sei ich eine Matratze, die man auf einen Müllhaufen wirft. Stöhnend vor Schmerz landeteich auf dem Boden. Dann lag ich blutend da und hörte, wie die Tür hinter mir ins Schloss fiel.
Vor meinem inneren Auge zogen Bilder, Erinnerungen und Gesichter vorüber. Meine Mom und mein Dad, meine Schwester und meine Freunde: Josh, der trottelige Nerd, der sanfte Riese Rick und Miler Miles, der Läufer, der eines Tages Firmenchef sein würde.
Und meine Freundin Beth mit ihrem honigfarbenen Haar, den blauen Augen und den sanften Lippen, die ich fast auf meinen spüren konnte. Beth und ich, wie wir zusammen den Weg am Fluss entlanggingen. Ich sah nicht mich, wie ich jetzt war – zerschlagen, verängstigt und der Hoffnungslosigkeit ergeben –, sondern ich sah den Charlie von damals, der Hand in Hand mit ihr ging …
Ich erinnerte mich an den Abend vor meinem Blackout, als ich mich in mein eigenes Bett legte. Ich war aufgeregt, weil ich an diesem Tag endlich den Mut aufgebracht hatte, Beth anzusprechen, und sie ihre Telefonnummer auf meinen Arm geschrieben hatte. Ich dachte daran, wie ich mich in meinem Zimmer umgesehen hatte, bevor ich das Licht löschte, wie mein Blick über die Karatetrophäen in den Regalen und das Filmposter von Herr der Ringe an der Wand gewandert war. Dann hatte ich in meinem weichen, warmen Bett die Augen geschlossen. Zu Hause und in Sicherheit.
Als ich die Augen wieder aufmachte, war alles, was ich kannte und liebte, verschwunden. Die Homelanders versuchten, mich zu töten, die Polizei wollte mich wegen Mordes verhaften, und ein ganzes Jahr meines Lebens schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Erst später fand ich heraus,dass ich eine Substanz eingenommen hatte, die meine Erinnerungen auslöschte, damit die Homelanders keine geheimen Informationen von Watermans Team aus mir herausbekamen.
Bevor er starb – bevor die Homelanders ihn ermordeten – hatte Waterman mir ein Gegenmittel zu dem Amnesiemedikament gegeben, ein Serum, das meine Erinnerungen zurückbrachte. Und sie kehrten tatsächlich zurück, allerdings in plötzlichen Schüben, die manchmal von unvorstellbar heftigen, krampfartigen Schmerzen begleitet wurden. Ich fürchtete mich vor diesen »Erinnerungsattacken«, die mich zuweilen noch immer überfielen. Aber nach und nach gaben sie mir mein verlorenes Leben und die Wahrheit über mich selbst zurück, und dafür war ich dankbar.
Die Erinnerungen, die ich jetzt auf dem Zellenboden hatte, waren jedoch anders. Ich spürte keine körperlichen Schmerzen, als ich die Gesichter der Menschen sah, die ich liebte, trotzdem tat es weh, dass ich sie nicht berühren, ihre Stimmen nicht hören oder mit ihnen zusammen sein konnte. Da ich als flüchtiger Häftling wieder verhaftet und verurteilt worden war, hatte ich kaum einen von ihnen zu Gesicht bekommen, bevor ich weggesperrt wurde. Aber ich war lange genug im Gericht gewesen, um zu sehen, wie Beth und meine Mutter im Zuschauerraum weinten, wie mein Vater mühsam um Fassung rang, und wie meine Freunde ermutigend die Fäuste in die Luft reckten, während in ihren Augen die
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