The Hunter - Die komplette erste Staffel
Aufbau gewesen. Die Wirtschaftslage hatte damals super ausgesehen. Viele Betriebe brauchten die Software, die sie anbieten konnten, um ihre Prozesse zu optimieren und vor den eigenen Kunden gut dazustehen.
Aber seit einigen Monaten war der Boss zum Kotzbrocken mutiert. Regelmäßig schrie er seine Angestellten an, verlangte permanent Überstunden, reagierte dennoch pedantisch, wenn man hie und da später kam. Die Bezahlung war außerdem schlecht. Immer wieder musste Ron über abgerechnete Projekte diskutieren und manchmal endete das Gespräch damit, dass er sein Geld überhaupt nicht bekam. Weil er so frech nachgefragt hatte, meinte der Chef.
Der Stress übertrug sich seit einigen Monaten auch auf Rons privates Leben. Er hatte kaum noch die Kraft, sich mit den Kindern zu beschäftigen, weil er müde und angespannt nach Hause kam. Sex mit seiner Frau? Er wusste nicht mehr, wann sie sich überhaupt das letzte Mal angesehen hatten, geschweige denn berührt. Dieses Wochenende war das erste seit Wochen, das er mal wieder mit seiner Familie verbracht hatte. Sonntagabend war der Stresspegel allerdings schon wieder gestiegen und am Montag wachte Ron mit quälenden Kopfschmerzen auf. Trotzdem hetzte er ins Büro.
Das Telefon schreckte ihn aus seinen trüben Gedanken auf, und er meldete sich mit fester Stimme.
„Mr. Applebie. Kommen Sie bitte in mein Büro.“ Glasfish.
Ron schluckte, sperrte seinen Rechner und ging zum Fahrstuhl, der ihn ein Stockwerk höher brachte, wo er über den Flur hinweg bereits das geöffnete Büro Glasfishs sehen konnte.
Der Chef winkte ihn zu sich herein und bat ihn, die Tür zu schließen.
„Setzen Sie sich.“
Mit wackeligen Knien folgte Ron der Aufforderung. Hatte er was angestellt?
„Mr. Applebie. Wir haben bereits festgestellt, dass Ihre Zahlen in den letzten Wochen rapide gesunken sind. Nachdem wir geforscht haben, woran es liegen könnte, haben wir herausgefunden, dass Sie offensichtlich lieber Ihre Naturfotografien auf diversen Plattformen teilen und sogar zum Kauf anbieten.“
Ron fiel ein Stein vom Herzen. Es ging also lediglich um sein Hobby, mit dem er sich am Feierabend beschäftigte. „Ja, Sir. Aber was hat meine Fotografie, die ich in meiner Freizeit betreibe, mit meiner Arbeit zu tun? Einige Projekte sind ja…“
„Die Projekte, die Sie gerade ansprechen, Mr. Applebie, sind über unsere Consultants reingeholt worden. Sie werden mir doch sicherlich nicht widersprechen, nicht wahr?“, seine Stimme duldete keinen Einwand. Ernst blickte der Boss ihn aus seinen kleinen Augen an. „Ich schlage vor, Mr. Applebie, dass Sie sich Ihr Hobby aus dem Kopf schlagen und wieder für unsere Firma da sind. Selbstverständlich bleibt unser Gespräch in diesem Raum und ich werde von einer Abmahnung Abstand nehmen.“
Ron war sprachlos! Sollte das bedeuten, er würde für seine Arbeit kein Geld bekommen, weil die Projekte angeblich auch ohne ihn geholt worden wären? Und was hatte sein Boss noch gesagt? Kein Hobby? Er hatte fest mit der Provision gerechnet. Die Kinder brauchten neue Betten. Sie wollten schon dieses Wochenende losfahren und sich beraten lassen. Mutlos sank Ron tiefer in den Stuhl. Nach der Ansprache traute er sich nicht mehr, Glasfish nach seinem wohlverdienten Geld zu fragen.
„Mr. Applebie. Das war alles“, entließ er ihn und tippte bereits irgendetwas auf seiner Notebook-Tastatur.
Mit wackligen Knien stand Ron auf und verließ das Büro. Auf dem Weg zum Lift klingelte sein Handy. Maggy! Lustlos ging er ran.
„Ron, denkst du bitte daran, Mr. Glasfish nach dem Vorschuss zu fragen? Wir müssen am Wochenende eine Anzahlung leisten, sonst bekommen wir die Betten nicht geliefert.“ Fröhlich trällerte die Stimme seiner Frau aus dem Hörer.
„Ja Schatz, er ist nicht da. Unterwegs. Ich schaue, ob ich ihn morgen sprechen kann“, log er und sein Magen drehte sich um.
„Aber vergiss es nicht wieder, ja? Bis heute Abend.“
Ron schluckte schwer und fühlte sich schwindelig. Mit hängenden Schultern ging er an seinen Platz, entsperrte den Rechner und öffnete das führende System des Unternehmens, in dem seine heutigen To Dos auf einem Blick zu sehen waren. Innerlich stöhnte er, denn die meisten seiner heutigen Aufgaben schob er bereits seit Wochen immer wieder nach hinten. Mit dem Mauszeiger fuhr er über die erste Aufgabe, las die Telefonnummer ab, überflog seine letzte Notiz und rief den möglichen Kunden an, dem er schon seit Wochen hinterher telefonierte.
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