The Lost
gewechselt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er keine Ahnung, was Ed dachte. Früher hatte er das immer gewusst, rein intuitiv, so wie das bei guten Partnern der Fall war. Nun aber tappte er im Dunkeln. An Eds Gesicht konnte er nichts außer Besorgnis ablesen.
Ed sagte, es sei nicht seine Schuld.
Das war, was er sagte.
Als sie in die Einfahrt bogen, sahen sie, dass im Haus der Wallaces Licht brannte.
»Warte hier«, sagte er.
»Einen Teufel werd ich.«
»Du bist Zivilist.«
»Hast du mich nicht gerade zum Hilfspolizisten befördert?«
Schilling sah ihn an und nickte. Sie stiegen die Stufen zur Veranda hinauf, und er klingelte. Und als niemand öffnete, klingelte er erneut. Was diese Familie betraf, hatte er jetzt ebenfalls ein ungutes Gefühl.
Er zog sich einen Plastikbeutel über die Hand und drehte den Türknauf herum. Mit gezückten Waffen betraten sie das Haus.
Flur und Wohnzimmer waren blitzsauber und praktisch unmöbliert, das Zuhause eines wohlhabenden Asketen. Sie bemerkten ihn sofort, oben am Treppenabsatz. Ein großer Mann in einem zerknitterten Hemd, der, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, auf dem Boden kauerte. Dort, wo er zusammengebrochen war, befand sich an der weißen Wand eine langgezogene Blutspur. In seiner Brust klaffte ein dunkles Loch. Die rote Schliere an der Wand stammte von der Austrittswunde. Schilling stieg die Treppe hinauf, während Ed das Erdgeschoss absuchte. Der Mann blinzelte und schaute fragend zu ihm auf, als versuchte er zu verstehen, was ihm widerfahren war. Er atmete flach und stoßweise.
Schilling stieg über ihn hinweg und trat vorsichtig in den Flur. Die erste Tür stand offen, und er warf einen Blick ins Zimmer und rechnete fast damit, dort auf eine weitere Leiche zu stoßen. Er sah im Wandschrank und unter dem Bett nach. Das Zimmer und das Bad des Mädchens waren leer. Die zweite Tür war geschlossen. Er öffnete sie und blickte ins Schlafzimmer des Vaters. Ebenfalls leer. Dann ging er zu dem Mann zurück und beugte sich über ihn.
»Wir holen Hilfe, Sir. Halten Sie durch.«
Vom Telefon im Zimmer des Mädchens aus forderte er einen Krankenwagen an, dann sprach er mit Jackowitz, und als er zurückkehrte, saß Ed neben dem Mann und wickelte ihm ein Badehandtuch um die Schusswunde.
»Wie schlimm ist es?«
»Er steht unter Schock und hat viel Blut verloren. Die Wunde wird ihn nicht töten, ist ein glatter Durchschuss. Aber womöglich der Schock und der Blutverlust. Siehst du die Kugel da?«
Schilling sah sie. Das Projektil steckte auf Höhe seines Haaransatzes in der Wand und hatte die Brust des Mannes glatt durchschlagen – was bedeutete, dass der Schuss von unten gekommen war.
»Irgendeine Spur von der Tochter?«
»Nichts.«
»Verdammt. Weißt du, was der Kerl tut, Ed? Er sammelt. «
»Ja. Und wir können nur zwei Dinge hoffen. Dass seine Sammlung jetzt vollständig ist und dass er sie noch eine Weile aufheben möchte.«
»Sobald der Krankenwagen hier ist, möchte ich zurück aufs Revier.«
»Zu Tim Bess?«
»Er ist alles, was wir haben.«
Er fuhr die nördlichen Hügel hinauf, wo die Häuser und Grundstücke größer wurden, mit großen unbewirtschafteten Ackerflächen dazwischen. Währenddessen behielt er sie die ganze Zeit im Auge. Sie lag auf dem Beifahrersitz, und als er sah, dass sie zu sich kam, fuhr er neben einer niedrigen Steinmauer rechts ran, zog den Zündschlüssel ab und lief um den Wagen herum zur Beifahrerseite. Er sorgte dafür, dass das Erste, was sie sah, der Revolver war, den er ihr an die Stirn hielt.
»Rutsch rüber. Du fährst.«
»Einen Scheiß werd ich.« Ihre Stimme klang belegt. Als bräuchte sie einen Schluck Wasser.
Er lächelte. »Du wirst morgen eine Riesenbeule am Kopf haben. Möchtest du noch eine? Rutsch rüber.«
Einen Moment lang sah sie ihn angewidert und hasserfüllt an, und der Blick gefiel ihm überhaupt nicht, aber dann tat sie, was er sagte. Er stieg ein und gab ihr den Schlüssel. Sie startete den Motor. Währenddessen schlug er nach einer Mücke, die vor seinem Gesicht herumschwirrte. Dieses Jahr waren die Biester eine echte Plage.
»Wohin soll ich fahren? Zu den Zeltplätzen, damit du dort die Leiche abladen kannst?«
»Welche Leiche?«
»Meine.«
Er lächelte. »Nein, nicht zu den Zeltplätzen. Wart’s ab. Du wirst schon sehen, wo es hingeht. Fahr einfach los.«
»Hast du meinen Vater getötet, Ray?«
»Keine Ahnung, vielleicht ja, vielleicht nein. Aber du wirst es nie erfahren, wenn du
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