The Lost
die Hand auf die Schulter, beugte sich zu Jennifer vor und gab ihr einen Kuss.
»Ich wurde im Motel aufgehalten. Die Eismaschine streikt mal wieder, und die Leute in 409 schmeißen eine kleine Party, wenn ihr versteht, was ich meine. Sie haben ein paar Mädels da, darum musste ich Willie wegen dem Eis zum Seven-Eleven rüberschicken, und ich kann die verdammte Rezeption nicht mal ’ne Minute unbesetzt lassen. Kommt, ich hab jemand mitgebracht, den ihr kennenlernen müsst.«
Sie gingen auf das Auto zu. Ray zündete sich eine Zigarette an und Tim folgte seinem Beispiel. Sie beugten sich auf der Fahrerseite zum offenen Fenster herab, und Tim blieb fast die Luft weg, er inhalierte den Rauch zu schnell, so dass er loshustete wie ein Tuberkulosekranker und sich wie ein Volltrottel vorkam. Denn auf dem Beifahrersitz saß das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte, wenn man die Filmschauspielerinnen nicht mitzählte.
Das Mädchen, dieses unglaubliche Mädchen, lächelte sie strahlend an.
»Tim, Jennifer, ich möchte euch Katherine vorstellen. Sie ist gerade aus San Francisco hergezogen. Wie findet ihr das? Sie hatte in der Mulwray Road einen Platten und wollte per Anhalter in die Stadt, also hab ich angehalten, denn ich dachte mir, Mann, wir wollen ja sowieso in die Stadt, dann können wir sie doch einfach mitnehmen.«
»Tim wollte eigentlich zu Don’s Drive-In«, sagte Jennifer.
Das Restaurant lag auf der anderen Seite des Sees, also in entgegengesetzter Richtung.
»Nee, da waren wir doch schon hundertmal! Das Drive-In ist was für kleine Kinder.« Er klopfte Tim auf die Schulter. »Wir fahren in die Stadt ! Ziehen durch die Bars. Partiiii !«
Tim fragte sich, ob das Mädchen alt genug war, um Alkohol zu trinken. Sie sah nicht so aus. Aber das spielte wohl keine Rolle. Er und Jennifer wurden auch erst nächstes Jahr einundzwanzig, aber Ray hatte zu den meisten Bars freien Eintritt – oder genauer gesagt, sein Dope verschaffte ihm den Zugang, deshalb spielte es keine Rolle. Er warf einen Seitenblick auf Jennifer.
»Meinetwegen«, sagte sie.
Der Glanz in ihren Augen war wieder erloschen.
Er betrachtete das Mädchen, dieses unfassbar schöne Mädchen. Dann kehrte sein Blick zu Jennifer zurück.
Kein Wunder, dass ihre Laune im Keller war.
3
Samstag, 2. August • Anderson
Es war sonderbar und vielleicht sogar lächerlich, wie ein neu erwachtes Sexleben sich auf das Verhalten eines Mannes auswirkte, dachte er. Seit die Sache mit Sally angefangen hatte, widmete er sich wieder der Gartenarbeit. Zu Evelyns Lebzeiten hatte er nie Lust dazu gehabt und es nur auf ihr Drängen hin getan, denn Evelyn war Engländerin gewesen, und Engländer liebten nun mal ihre Gärten. Und nun hockte er hier, über die Veilchen gebeugt, und schwitzte in der Sonne. Ein einsneunzig großer, hundert Kilo schwerer Ex-Cop, der neben der Veranda hinterm Haus freiwillig in der Erde wühlte.
Als wie immer um diese Zeit die Katze vorbeikam, füllte Ed die leere Schüssel am Außenhahn mit frischem kaltem Wasser und ging die Friskies holen, die er neulich gekauft hatte und im Küchenschrank aufbewahrte. Als er zurückkehrte, trank die Katze schon. Er stellte die Futterschale auf die Veranda und sah dem Tier beim Fressen zu. Die Friskies waren harte kleine Kügelchen, die laut knackten, wenn das Tier sie zerbiss. Ihm gefiel das Geräusch, und er nahm an, dass es der Katze auch gefiel. Wahrscheinlich erinnerte es sie an das Geräusch splitternder kleiner Knochen, an das Raubtier, das sie tief in ihrem Innern war.
Die Katze fraß die Schale stets bis auf den letzten Krümel leer, und als sie fertig war, wandte sie sich mit zusammengekniffenen Augen wieder dem Wasser zu, hoch konzentriert; ungefähr drei-, viermal pro Sekunde kam ihre rosige Zunge herausgeschossen. Katzen waren sehr effiziente Tiere. Die raue Zunge, die sich sowohl zum Putzen als auch zum Wasserschlecken bestens eignete, war nur ein Beispiel von vielen für diese Effizienz. Katzen waren Tiere, die Anderson respektieren konnte. Er fragte sich, ob er das Tier bei sich aufnehmen sollte. Seit etwa einer Woche kam es täglich zu Besuch, und er musste zugeben, dass er gegen ihre Gesellschaft nichts einzuwenden hatte.
Evelyn hatte keine Tiere gewollt, sie war der Meinung gewesen, sie würden ihr nur irgendwann wegsterben; sie würde die Tiere überleben, und das wollte sie nicht. Aber nun war Evelyn nicht mehr bei ihm. Sie hatte sechs lange Jahre an Knochenkrebs gelitten und sich
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