The Lost
dass sie haarklein mitkriegt, womit du dir früher deinen Lebensunterhalt verdient hast. Ich finde, das kann man dir nicht vorwerfen. Möchtest du, dass ich mit ihr rede?«
Ed sah ihn an und nickte, dann nahm er einen Schluck Bier. »Ja, Charlie, das ist eine gute Idee.«
»Kein Problem. Ja, das passt gut zu meinen anderen Plänen.«
Es dauerte einen Moment, aber dann begriff Ed. »Habe ich dich gerade richtig verstanden, Charlie?«
»Wir haben einen neuen Chief, Edward. Bisher hatte er keinen Grund, sich über mich zu beschweren. Ich finde, es wird Zeit, dass sich das ändert.«
9
Jennifer und Ray
»Ich find das echt scheiße, Ray.«
»Ach ja? Du findest das also scheiße. Kein Problem. Ich hab einfach keinen Bock, kapiert? Ende der Durchsage.«
Eigentlich wollten sie heute Abend ins Colony gehen und sich Raquel Welch und Jim Brown in 100 Gewehre anschauen; Tim, Hanna und Phil wollten auch mitkommen, und jetzt ließ er die Verabredung einfach platzen. Nur weil er sauer war, dass dieses neue Mädchen, diese Sally soundso, nicht mit ihm ausgehen wollte. Ray war derjenige, der ein Auto besaß. Der Wagen der Griffiths stand in der Werkstatt, und Tim hatte sich gestern Abend mit seiner Mutter gestritten und durfte deshalb ihren Wagen nicht haben. Wenn Ray nicht ins Kino wollte, würde keiner von ihnen ins Kino gehen. Und Ray wollte lieber zu Hause Bier trinken, kiffen und Musik hören. Allmählich nervten sie die Stones, vor allem Their Satanic Majesties Request, außerdem hatte sie die Nase voll davon, herumzuhängen und zu saufen. Sie trank in letzter Zeit sowieso viel zu viel.
Sie machte eine Dose Bier auf.
She’s a Rainbow ging ihr echt auf den Senkel.
»Wieso hörst du überhaupt diesen psychedelischen Mist? Du hasst doch die Hippies.« Sie musste fast schreien.
»Mann, das sind die Stones.«
»Sind sie nicht. Die Stones sind Get Off My Cloud. «
»Das sind die alten Stones.«
»Die guten Stones. Das hier ist Dreck.«
»Hör zu, alles, was die Stones machen, ist klasse. Die Stones sind der Hammer. Genau wie Elvis und Jerry Lee.«
»Elvis? Elvis ist ein Muttersöhnchen.«
Er winkte ab. »Das ist doch alles bloß Publicityscheiße. Dass er nicht trinkt und nicht kifft und so. Elvis soll nicht kiffen oder trinken oder den Weibern nachjagen? Schwachsinn.«
»Und was ist mit seinen bescheuerten Musikfilmen? Was ist mit Girls, Girls, Girls ? Da singt er für kleine Kinder, verdammt nochmal.«
»Mag schon sein. In letzter Zeit haben sie ihn ein bisschen weichgespült. Trotzdem ist er immer noch Elvis.«
Er ging im Zimmer auf und ab, in einer Hand ein Bier, in der anderen einen Joint, und sang einzelne Passagen der Songs mit, nippte am Bier und zog am Joint. Sie musste zugeben, er hatte eine gute Stimme, ein bisschen Jerry-Lee-mäßig. Aber man konnte nicht mit ihm reden, wenn er so drauf war. Er tat so, als würde er sich ganz der Musik hingeben, als wäre alles in bester Ordnung. Obwohl das Gegenteil der Fall war. Und alles nur wegen irgendeiner neuen Braut, auf die er scharf war.
Warum sie sich das weiterhin bieten ließ, war ihr ein Rätsel.
Weil sie ihn liebte, deshalb.
Obwohl er sie ständig verarschte.
So wie heute Abend.
Aber Tatsache war, dass es auf lange Sicht überhaupt keine Rolle spielte, was sie tat oder was nicht. Sie war ohnehin dem Untergang geweiht. Das war genau der richtige Ausdruck – das war kein melodramatisches Getue. Ihre ganze verdammte Familie war dem Untergang geweiht. Jeder von ihnen hatte irgendwann Krebs oder eine Herzerkrankung bekommen. Ihre Mutter war an Brustkrebs gestorben, als Jennifer sechs war. Ihr großer Bruder John war mit sechsundzwanzig einem Herzinfarkt erlegen. Ohne dass er Übergewicht gehabt hätte. Er war einfach tot umgefallen, als er einem Kunden die Windschutzscheibe geputzt hatte. Da war sie elf Jahre alt gewesen. Ihr Vater war an Lungenkrebs gestorben, als sie zehn war, und bei ihrer älteren Schwester Ann hatte man letztes Jahr einen Hirntumor diagnostiziert. Das Geschwür war zwar zurückgegangen, aber Jennifer wusste, dass das nur eine kurzfristige Besserung war. Sie war dem Untergang geweiht – es konnte gar nicht anders sein.
Ihr würde ebenfalls irgendwas Scheußliches zustoßen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Mit dieser Aussicht vor Augen, fand sie, konnte man so ziemlich alles ertragen.
Die Pflegeeltern. Ray. Alles.
Aber was er hier abzog, wie er sich jetzt aufführte – es war einfach so verdammt langweilig.
»Komm schon.
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