The Lost
noch stärker. Aber er sagte nur mach’s gut und legte dann auf. Er starrte eine Weile auf den Apparat und dachte an seinen Sohn und an Lila. Wäre er jetzt bei ihnen unten in Arizona, wo würde die Familie jetzt stehen? Würde seine Anwesenheit Will auf den rechten Weg bringen? War es überhaupt möglich, auf irgendeine Weise wieder als Familie zusammenzuleben?
Ihm fiel dazu keine einzige positive Antwort ein.
Schließlich stand er auf und schaltete den Fernseher ein. In wenigen Minuten fing Daniel Boone an, der in seinen Wildlederhosen die Demokratie im Land rettete. Das war noch die beste von den ganzen Serien, die heute Abend liefen. Er dachte an den Krieg und fragte sich, wer eigentlich diejenigen waren, die heutzutage für die Demokratie kämpften.
Ein paar Jungs, die kaum älter waren als sein Sohn.
Er holte sich ein Bier aus der Küche und gab sich alle Mühe, nicht über Wills Probleme nachzubrüten. Entweder würde sein Sohn wieder in die Spur kommen oder nicht. Er selbst konnte nur abwarten und aus der Ferne beobachten, was geschah.
22
Freitag, 8. August • Ray/Katherine
Es wurde langsam dunkel, und sie fuhren die Cedar Street zum alten White Castle hinunter, um dort ein paar Burger zu essen. Ray saß am Steuer, Tim neben ihm auf dem Beifahrersitz. Plötzlich sprang aus einer der Hecken eine schlanke schwarze Katze mit weißen Pfoten auf die Fahrbahn. Ray stieg voll aufs Gas und raste auf das Tier zu – und jagte Tim eine Heidenangst ein. Genau darum ging es. Und nicht darum, irgendeine verlauste Katze zu überrollen. Das Viech war ihm egal. Auf Speed war er sowieso. Nein, was ihn amüsierte, war der Anblick von Tims leichenblassem Gesicht, während sie auf die Katze zuschossen. Auf diese Weise erinnerte er seinen Kumpel daran, dass er zu allem fähig war und verdammt nochmal alles tat, wonach immer ihm gerade zumute war.
Die Katze war flink und sprang nur wenige Zentimeter neben dem linken Vorderreifen zur Seite. Glück gehabt. Ray stieß ein helles ausgelassenes Lachen aus, warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass das Tier wie erstarrt am Straßenrand kauerte und ihnen nachschaute, als wäre gerade eine Horde Höllenhunde an ihm vorbeigehetzt. »Mann, Ray!«
»Ja, ich weiß. Ich hab sie verfehlt.«
»Warum zum Henker hast du das getan?«
»Warum nicht? Ich hab ein Auto, und die Katze hat keins. Klare Sache.«
»Scheiße, Ray.«
Es war jedes Mal ein Riesenspaß, Tim einen Schreck einzujagen, nichts leichter als das. Nachdem sie sich letzten Sommer im Autokino Rosemarys Baby angesehen hatten, hatte Jennifer ihm erzählt, dass Tim bei der Szene, in der Mia Farrow vergewaltigt wird, weggeschaut hatte. Ray hatte nicht mal geblinzelt, um auch ja nichts zu verpassen. Die Szene war der Hammer!
Im Radio lief schon wieder dieser bescheuerte Song über San Francisco: »Be sure to wear some flowers in your hair …« Meine Güte. Er schaltete es aus. Man hörte sowieso kaum etwas, weil des Verdeck des Chevy runtergeklappt war, aber der Song nervte ihn trotzdem. Scheißblumen im Haar. Unglaublich. Der Song war widerlich. Totaler Dreck. Später würde er sich mit Katherine treffen, und von so einem Mist wollte er sich nicht die Laune verderben lassen.
»Schon mal daran gedacht, es zu tun?«, fragte Tim.
»Was?«
»Nach San Francisco zu ziehen. Manchmal denke ich, wir sollten das machen. Du und ich und Jennifer. Abhauen und in Haight Ashbury wohnen.«
»Warum zum Henker sollte ich dort hinwollen?«
»Sex, Drugs and Rock’n’Roll, Mann!«
»Tim, das haben wir doch auch hier. Als Nächstes willst du in irgendeine Kommune ziehen und Bohnensprossen und braunen Reis fressen. Manchmal mache ich mir echt Sorgen um dich, weißt du das?«
»Man kann dort tun und lassen, was man will. Du musst nur ein paar Drogen verticken, und schon hast du Kohle. Du musst nicht mal arbeiten. Und wenn’s gar nicht anders geht, schnorrst du dich eben durch.«
»Klar doch. Ich sehe mich schon als Schnorrer am Straßenrand hocken und irgendwelche Collegeheinis um Geld anhauen. Den ersten, von dem ich nichts kriege, würde ich glatt umlegen.«
Das würde er tatsächlich. Schon die bloße Vorstellung machte ihn wütend. Irgendwelche bekloppten Hippies anbetteln zu müssen, die von Daddy die Kohle in den Arsch geblasen bekamen. Er beschloss das Thema zu wechseln. Tims Gequatsche verhagelte ihm die Laune, genau wie der Song gerade.
»Hast du irgendwas von Barry Winslow gehört? Hab ihn schon ewig nicht mehr
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