The Lost
übergeben. Beim nächsten Mal ist er dran. Und dann wird ihn die Polizei kurzerhand in eine Besserungsanstalt verfrachten, sagen sie. Soviel steht fest.«
»Oh Mann.«
»Er ist fünfzehn, Herrgott nochmal. Von der letzten Schule wurde er geschmissen, weil er geklaut hat. Was stellt der Junge erst mit zwanzig an?«
Sie versuchte gar nicht erst, ihre Wut zu verbergen. Er kannte sie. Wut war die einzige Droge, die die Angst verdrängen konnte.
»Er sagt, alle würden Marihuana rauchen. Er ist sich anscheinend nicht mal einer Schuld bewusst. Und jetzt muss er nächstes Jahr auch noch den Mathekurs der neunten Klasse wiederholen. Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll.«
»Soll ich zu euch rüberfliegen?«
Sie schien ihn nicht verstanden zu haben.
»Ich hab ihm natürlich Hausarrest gegeben. Als ob das etwas nützen würde. Ich kann doch nicht die ganze Zeit ein Auge auf ihn haben. Ich habe einen Job. Wie soll ich ihn davon abhalten, sich mit seinen Kumpels zu treffen, wenn ich nicht zu Hause bin? Was soll ich bloß tun? Einen Babysitter engagieren?«
»Was ist mit deiner Mutter?«
»Die muss sich um Dad kümmern. Seine Arthritis in den Knien ist schlimmer geworden. Er kann kaum noch gehen. Ich kann sie jetzt nicht um Hilfe bitten.«
»Ich habe gefragt, ob ich zu euch rüberfliegen soll.«
Plötzlich gefiel ihm die Aussicht, nach Arizona zu fliegen, doch als er an den Anlass dachte, überkam ihn ein schlechtes Gewissen.
Sie seufzte. »Nein. Weiß nicht. Fürs Erste nicht. Red einfach mal mit ihm, ja? Versuch, ihn zur Vernunft zu bringen. Ich schaff das nicht.«
»Mach ich. Gib ihn mir mal.«
» Will? Dein Vater ist am Apparat.«
Während er wartete, stellte er sich vor, wie sie mit dem Telefon in der Küche oder dem Schlafzimmer des Hauses stand, das er nur einmal bei einem kurzen Besuch gesehen hatte. Er wusste nicht, wo sie sich gerade aufhielt, also stellte er sie sich in beiden Räumen vor, eine schöne, überlastete Frau mit sorgenvollem Blick, aber immer noch schön. Früher war sie mal seine Frau gewesen. Aber jetzt war sie ganz und gar unabhängig, und sie lebte lieber alleine als mit ihm zusammen.
»Hallo?«
Die Stimme am anderen Ende schien jemandem zu gehören, der viel zu jung war, um zu stehlen und Drogen zu nehmen. Sie war noch immer dabei, sich zu verändern. Jedes Mal, wenn er sie hörte, klang die Stimme ein bisschen anders, und normalerweise freute er sich darüber. Sein Sohn wurde erwachsen. Das wurde ihm auch diesmal wieder bewusst. Nur diesmal stimmte ihn diese Erkenntnis traurig, denn er hatte echten Grund zur Sorge. Man konnte in die verschiedensten Richtungen wachsen, wie ein Baum, entweder auf freiem Feld kräftig und gerade in die Höhe oder schief und verkümmert an einem Berghang.
»Hallo, Will. Wie geht’s?«
»Ganz gut.«
Der Junge ließ einen Augenblick verstreichen.
»Sie hat’s dir erzählt, stimmt’s?«
»Ja, hat sie. Was machst du nur für Sachen, Will?«
»Was meinst du?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
Die Stimme wurde weinerlich und abwehrend, ging eine halbe Oktave höher.
»Mann, Dad, das tun doch alle. Es ist nichts dabei. Ich – meine, bloß weil es illegal ist, heißt das doch nicht, dass es schlimm ist.«
»Ich werde jetzt nicht mit dir darüber diskutieren, ob es schlimm ist oder nicht. Es ist jedenfalls illegal. Momentan können sie dich deswegen nur in die Besserungsanstalt stecken. In anderthalb Jahren aber bist du siebzehn, und dann bist du wegen so einem Blödsinn vorbestraft. Möchtest du das?«
»Na und? Ist mir doch egal. Ich find schon einen Job. Kein Problem.«
» Na und? Ich will dir mal was sagen. Hast du schon mal von Vietnam gehört, Will? Wenn du heutzutage von der Schule fliegst, ziehen sie dich ein. Man wird dich nach Vietnam schicken, damit du da die Reisfelder mit deinem Blut tränkst, oder dir werden von einer Mine die Beine abgerissen. Das ist dir also egal ?«
»Wenn ich siebzehn bin, ist der Krieg längst vorbei. Dann wird niemand mehr eingezogen. Das sagen alle.«
»Ach ja, tun sie das? Tja, ich weiß ja nicht, wer alle sind, aber lernt ihr auf der Schule auch was über Laos? Über Kambodscha? Der Krieg weitet sich aus, Herrgott nochmal. Willst du wirklich dein Leben drauf verwetten, dass diese Leute, die du alle nennst, vielleicht Recht behalten? Mensch, es geht um dein Leben. Komm schon, Will. Du bist doch viel zu klug, um dir von irgendwem so einen Unsinn erzählen zu lassen.«
Er hoffte, er klang
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