The Lost
Einer davon war wohl ihr Frisör oder Stylist, keine Ahnung. Die haben sie echt übel zugerichtet, Mann.«
»Scheiße, Mann!«
Ray war beeindruckt. Das kam selten vor.
»Sharon Tate war mit Roman Polanski verheiratet, dem Regisseur von Rosemarys Baby. In dem Film geht’s um Teufelskram und Hexerei. In Die schwarze Dreizehn hat Tate auch mitgespielt. Den haben wir doch damals im Drive-In gesehen, erinnerst du dich?«
»Ja. Die Braut war der Hammer.«
»Das können nur Satanisten gewesen sein. Wer sonst? Da fragt man sich doch, was dieser Polanski so alles getrieben hat, oder?«
»Echt abgefahren. Alter, ich mach mal den Fernseher an. Vielleicht bringen sie irgendwas darüber. Ruf mich an, wenn du was Neues hörst, okay?«
»Na klar. Was geht heute Abend?«
»Ich bin mit Katherine verabredet. Hey, ich will jetzt fernsehen. Ich meld mich später.«
»Okay.«
Und genau wie Jennifer rief Ray nicht zurück.
Katherine sah sich in ihrem Zimmer die Sechs-Uhr-Nachrichten an.
Etta war eben nach Hause gegangen. Über der Treppe hing noch der Marihuana-Rauch in der Luft.
Tatsächlich brachte das Fernsehen einige Bilder. Sie zeigten die Opfer zu ihren Lebzeiten. Die attraktive brünette Erbin des Folger-Kaffee-Vermögens neben ihrem polnischen Jet-Set-Liebhaber. Publicity-Fotos des gut aussehenden, international renommierten Haarstylisten, der für Katherine große Ähnlichkeit mit Alain Delon hatte. Und natürlich Bilder von der jungen aschblonden Schauspielerin, die mit dem berühmten Regisseur verheiratet gewesen war. Von dem jungen Burschen, den man draußen im Auto gefunden hatte, brachten sie kein Foto, und auch seinen Namen erwähnten sie nicht.
Es folgten Luftaufnahmen des Anwesens und der Straße, die sich zum 10050 Cielo Drive hinaufschlängelte, und vom Toreingang.
Sie machten ein riesiges Aufhebens darum, dass Sharon Tate im achten Monat schwanger war, als wäre es für ein ungeborenes Kind das Tragischste und Entsetzlichste überhaupt, wenn man ihm den Eintritt in diese Welt versagte. Katherine fand jedoch, dass das denkbar Schrecklichste der Schauspielerin selbst widerfahren war, nämlich in der Blüte ihrer Jahre ermordet zu werden, voller Hoffnungen, was Karriere und Familie betraf. Offensichtlich hatte sie den Mann, den sie geheiratet hatte und dessen Kind sie austrug, wirklich geliebt, und wahrscheinlich war sie kurz vor dem internationalen Durchbruch gestanden. Katherine fragte sich, in welchem Moment Sharon Tate klargeworden war, dass all ihre Wünsche und Träume sich nicht erfüllen sollten. Man konnte sich kaum vorstellen, wie sie sich gefühlt hatte. Wenn man darüber nachdachte, kamen einem fast die Tränen. Am liebsten hätte Katherine irgendetwas zerschlagen. Es bestätigte sie nur in ihrer Ansicht, dass die Welt grundsätzlich schlecht war.
Wer tat so etwas?
Sie schaltete um zur Wiederholung einer Im Reich der wilden Tiere -Folge über Wasserbüffel und lackierte ihre Zehennägel fertig. In einer halben Stunde kam The Dating Game, eine blöde Sendung. Aber der Quatsch würde sie, wie die Tiersendung, von Sharon Tate ablenken, deren Schicksal sie so unvermutet mitgenommen hatte.
Sie fragte sich, warum.
24
Ray
Er parkte ein paar Blocks weiter unten und schaltete das Licht ab, dann stieg er aus und joggte das letzte Stück zu ihrem Haus hinauf. Dort angekommen, blieb er im Dunkeln hinter der Hecke stehen, um einen Moment zu verschnaufen, während er zum hell erleuchteten Giebelfenster hochschaute. Ihrem Zimmer.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war kurz nach halb neun.
Sie erwartete ihn um neun.
Sie wollte eine Überraschung. Bitte, die konnte sie haben.
Es war echt ein Ding, dass er das ausgerechnet heute Abend tat. Am Abend nach Sharon Tates Ermordung. Und es war ein merkwürdiger Zufall, dass er die Idee in derselben Nacht hatte, in der sich das Blutbad ereignet hatte. Er fragte sich, wie sie ins Haus gelangt waren, ob sie auch auf einen Baum geklettert waren, wie er das gleich tun würde.
Der Baum war ihm aufgefallen, als er Katherine das erste Mal nach Hause gebracht hatte. Zunächst hatte er mit dem Gedanken gespielt, sie auszuspionieren, aber das hier war besser als spannen.
Er fragte sich, warum niemand die Äste gestutzt hatte. Denn über einen der Äste gelangte man direkt aufs Dach, er machte einen robusten und stabilen Eindruck.
Seit seiner Kindheit war er praktisch nicht mehr geklettert, aber das hier war ein Kinderspiel, jedenfalls leichter, als an den Ringen
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