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The Lost

Titel: The Lost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Ketchum
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Hör weiter Radio. Ist billiger, als sich einen Tripper zu holen.«
    »Wir hätten hinfahren sollen. Echt, Mann.«
    »Klar. Ich fahr den ganzen Weg nach Woodstock, um mir Joan Baez und Arlo Guthrie anzuhören und auf irgendeiner Farm mit einer Horde verlauster Langhaariger rumzuhocken. Und hinterher geh ich zu den Marines, um mir den Schädel wegpusten zu lassen. Krieg dich wieder ein, Timmy.«
    Um vier wurde er schließlich von seinem Vater abgelöst, und er fuhr sofort zu Katherine. Ihr Wagen stand in der Einfahrt.
    Endlich!
    Alles war ruhig.
    Er wartete einen Moment, dann rutschte er hinter dem Lenkrad hervor, lief durch den Garten, stieg die Treppe hinauf und drückte rasch auf den Klingelknopf, bevor er noch die Nerven verlor. Während er wartete, befeuchtete er mit der Zunge den Zeigefinger und strich sich über die Augenbrauen. Dann hauchte er in seine Handfläche, und er fand, dass sein Atem in Ordnung war.
    Nach einer Weile ging die Tür auf, und vor ihm stand der Mann, den er auf den Fotos im Wohnzimmer gesehen hatte. Ihr Vater war ziemlich groß. Das fiel ihm als Allererstes auf. Bestimmt um die einsneunzig. Wirklich imposant. Das Zweite war, dass der Mann geweint hatte. Seine Augen waren rot unterlaufen und verquollen. Dass ihn ein Fremder in diesem Zustand sah, schien ihn nicht zu stören. Ray reichte ihm die Hand. Katherines Vater starrte sie einen Moment an, dann schüttelte er sie kurz. Sein Griff war weder besonders kräftig noch besonders schlaff.
    »Mein Name ist Ray Pye, Mr. Wallace. Ich bin ein Freund von Katherine. Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen, Sir.«
    »Vielen Dank.«
    Der Mann starrte ihn nur wie benommen an, bat ihn nicht ins Haus. Als würde er darauf warten, dass Ray noch etwas tat oder sagte. Sein weißes Oberhemd war verknittert, und die Bügelfalte in seiner Hose war verschwunden. Ray kapierte das nicht. Die Frau war doch vor über einer Woche gestorben. Warum war ein so großer erfolgreicher Mann deswegen immer noch so mitgenommen? Das Leben geht weiter, verdammt nochmal.
    Im Flur konnte er ihr Gepäck stehen sehen.
    Offenbar waren sie gerade erst angekommen.
    »Ist Katherine zu Hause? Ich würde ihr gern mein Beileid aussprechen.«
    Er nickte. »Natürlich. Kommen Sie herein.«
    Wurde auch Zeit.
    »Katherine?«, rief ihr Vater nach oben, doch sie antwortete nicht. »Du hast Besuch. Setzen Sie sich doch, Mr. Pye.«
    Ihr Vater deutete auf das Sofa, auf dem sie es vor einer Woche fast getrieben hätten.
    »Ich muss im Arbeitszimmer noch einige Papiere ordnen. Sie kommt bestimmt gleich runter.«
    Mr. Wallace schlurfte durch den Flur und verschwand in einem Zimmer, in dem Ray noch nie gewesen war. Er hatte das ungute Gefühl, dass der Mann ihn gar nicht richtig wahrgenommen hatte, so als wäre er unsichtbar. Nur eine Stimme an der Haustür.
    Als er auf der Treppe ihre Schritte hörte, fuhr er herum und sah, wie sie dort stehen blieb und ihn anschaute. Dann blickte sie den Flur hinunter zu der Tür, durch die ihr Vater eben verschwunden war. Er wusste nicht, ob sie sich freute, ihn zu sehen, deshalb stand er einfach nur da und lächelte.
    »Hey, Katherine.«
    »Ray, was machst du hier? Wir sind gerade angekommen.« Sie blickte erneut in den Flur. »Komm, lass uns rausgehen.«
    Sein Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. »Da komme ich doch gerade her.«
    »Bitte, Ray.« Sie nahm ihn am Arm und führte ihn hinaus auf die Veranda. Er merkte, dass sie nervös war. Er schätzte, er sollte jetzt ein bisschen Mitgefühl zeigen.
    »Dein Vater sieht nicht besonders gut aus, Katherine. Die Sache hat ihn bestimmt ganz schön mitgenommen, was?«
    »Ja, das hat sie.«
    »Und was ist mit dir? Alles in Ordnung?«
    »Ja. Mir geht’s gut. Aber du hättest nicht herkommen sollen, Ray. Wir sind erst vor einer halben Stunde zurückgekommen.«
    »Ich musste dich einfach sehen, Kath. Ich hab dich tierisch vermisst. Warum hast du nicht angerufen?«
    »Ich konnte nicht.«
    »Warum? Wäre doch nur ein kurzer Anruf gewesen.«
    »Hör mal, Ray, wir reden später, okay? Lass mich erst mal richtig ankommen. Ich rufe dich morgen an, ja?«
    »Morgen? Mann, Kath, du warst eine Woche weg.«
    »Na schön, ich rufe dich heute Abend an, okay? Aber jetzt musst du wirklich gehen, Ray. Ehrlich.«
    »Was denn? Schämst du dich etwa plötzlich meinetwegen?« Er lächelte wieder.
    Sie nicht.
    Und einen Moment lang dachte er: Mann, sie schämt sich wirklich, und dann dachte er: Das kann nicht sein.

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