The New Dead: Die Zombie-Anthologie
vielen Stahllagen. Aber jetzt hörte ich hin. Unregelmäßig, sporadisch, immer wieder anders. Es war nicht die Gefrieranlage oder der große Stromgenerator. Das Einzige, was solche Geräusche erzeugte, waren Lebewesen. Menschen. Tiere. Angehörige des großen, aber immer noch exklusiven Klubs derjenigen mit einem Pulsschlag.
Ich schaltete die Monitore der Überwachungskameras ein und machte einen Rundgang. Es war nicht schwer, sie zu finden, nachdem ich einmal angefangen hatte zu suchen. Sie befand sich in der äußeren Festung, weit unten im Erdgeschoss in einem abgeschotteten Teil eines Gangs zwischen zwei von meinen selbstschließenden Türen – himmelweit von der großen Stahltür entfernt, durch die man in die mittlere Festung gelangte.
Trotzdem war es ein großer Schock für mich. Als kratzte man sich an den Eiern und hätte plötzlich eine Filzlaus an den Fingern.
Soweit ich das erkennen konnte, war sie eine Obdachlose. Sie war wahrscheinlich Anfang zwanzig, sah aber ein ganzes Stück älter aus und saß zusammengekauert in mehrere Kleidungsschichten gehüllt in einer Ecke, die aus Wand und Tür gebildet wurde. Ihre blonden Haare waren völlig verdreckt, und sie hatte einen mürrischen Armesünderblick. Mehr ließ sich schwer sagen, weil sie sich mit an die Brust gezogenen Knien zusammengekauert und auch noch den Kopf gesenkt hatte. Wahrscheinlich war es kalt dort unten, und sie fror trotz der ganzen Sachen, die sie anhatte.
Wie zum Teufel hatte sie es geschafft, in meine Festung einzudringen? Sie konnte sich unmöglich seit dem letzten Einbruch dort versteckthaben, da sie mir nicht entgangen wäre. Davon einmal abgesehen wäre sie auch schon längst tot gewesen. Es gab dort nichts zu essen und zu trinken, und sie hatte eindeutig nichts weiter mitgebracht, als das, was sie in ihren Taschen tragen konnte.
Mit den Kameras verfolgte ich den Weg zurück, bis ich den eindeutigen Beweis fand – ein großes Entlüftungsrohr, das zu einer der Gefrieranlagen führte und durch die Außenwand des Gebäudes verlief. Sie hatte einfach darauf eingeschlagen – mit einem Hammer oder einem Stein –, wieder und wieder, bis das dünne Metall so stark eingedrückt war, dass sie sich durch die entstandene Lücke quetschen konnte. So war sie in einen Teil des Gebäudes gelangt, durch den ich für gewöhnlich nach unten ging, um die Post zu holen. Sie musste durch ein oder zwei Türen geflitzt sein, die ich offen gelassen hatte. Nachdem ich alles wieder abgeschlossen hatte, war ihr der Rückweg versperrt.
Sie hatte versucht, aus dem Gang herauszukommen und dabei die Geräusche verursacht, die ich bemerkt hatte. Sie hatte gegen die Tür gehämmert, daran gekratzt und wahrscheinlich auch um Hilfe gerufen, doch all das hatte ich im Vorführraum nur gedämpft wahrgenommen und war so vertieft gewesen in meine Arbeit, dass ich die Geräusche nicht hatte einordnen können.
Jetzt sah sie wirklich schlecht aus. Der Monitor zeigte zwar nur Schwarz-Weiß-Bilder, aber auf ihren Händen waren deutlich dunkle Flecken auszumachen, von denen ich annahm, dass es sich um Blut handelte. Ihre Fingernägel waren kaputt, weil sie versuchte hatte, die Tür aufzuziehen, und als sie einmal kurz hochkam, um Luft zu holen, bemerkte ich, dass ihre Lippen geschwollen waren. Das war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass sie unter Dehydratation litt.
Ich stand auf und ging auf und ab, während ich versuchte, die ganze Sache zu durchdenken. Es kam keine Panik in mir auf, denn dazu war ich nicht in der Lage, doch ich spürte, wie sich langsam eine gewisse Niedergeschlagenheit in mir breitmachte. Es fühlte sich so an wie die Gase in meinen Eingeweiden während der ersten Phase der Verwesung.
Sie einfach sterben zu lassen war die erste Möglichkeit, die mir in den Sinn kam.
Ich konnte auch die Türen öffnen, damit sie auf dem gleichen Weg das Gebäude verließ, auf dem sie hereingekommen war. Möglicherweise war sie jedoch dazu bereits zu schwach. Vielleicht starb sie ohnehin.
Wenn ich die Türen öffnete, konnte jemand anders hereinkommen. Es war sicherer, sie einfach da zu lassen, wo sie war.
Und wenn jemand gesehen hatte, wie sie in das Loch hineingeklettert und nicht wieder herausgekommen war? Unter Umständen suchte in diesem Moment jemand nach ihr, rief die Polizei oder kroch mit Taschenlampe und Brechstange durch dasselbe Loch …
Nein, niemand sonst hatte das Loch gefunden. Die Überwachungskameras hatten keine anderen Personen angezeigt,
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