The New Dead: Die Zombie-Anthologie
hielt die Temperatur konstant bei zwei Grad Celsius. Ich hatte auch alles andere so weit hergerichtet, dass ich einziehen konnte. Und das war auch gut so, denn nun war an weitere Aktionen erst einmal nicht mehr zu denken: Die verdammte Leichenstarre packt einen schon bald, nachdem man sich aufgesetzt und umgeschaut hat. Während der nächsten vierundzwanzig Stunden kann man nicht viel mehr machen, als die Augen zu verdrehen.
Und so lag ich da im Dunkeln, weil ich nicht einmal mehr die Gelegenheit gehabt hatte, das Licht einzuschalten, bevor meine Muskeln erstarrten, und in Gedanken ging ich die Liste durch.
Ranzigwerden.
Schwarze Fäulnis.
Buttersäuregärung.
Trockene Verwesung.
Das waren zusammengefasst die zweifelhaften Freuden, die mich jetzt noch erwarteten, und jede Sekunde, die ich verschwendete, bedeutete später weiteren Ärger. Deshalb spuckte ich mir in dieHände – bildlich gesprochen natürlich –, sobald die Leichenstarre nachließ, und ergriff die entsprechenden Maßnahmen.
Das Ranzigwerden, die erste Phase, ist die bei Weitem gefährlichste, da sich in ihrem Verlauf alle Flüssigkeiten im Körper zersetzen und sauer werden. Der Gestank ist absolut unbeschreiblich, aber das ist es nicht, worüber man sich Sorgen machen muss. Beim Sauerwerden entstehen große Mengen an Gas, das sich überall dort im Körper ansammelt, wo ein wenig Platz ist. Unternimmt man nichts dagegen, richtet der Gasdruck schwere Schäden am Gewebe an – er reißt einen quasi von innen heraus auf. Wenn man einige Schnitte macht, um das Gas entweichen zu lassen, stellen diese ein Problem dar, um das man sich in der Fäulnisphase kümmern muss.
Ich machte eine lange Phase mit Kunststoffrohren durch, die ich mir an vielen Stellen reinschob, über die zu sprechen ich keine Lust habe. Am Ende musste ich mir doch zwei echte Schnitte verpassen, die ich aber extrem klein hielt. Nützlich war mir ein ganz erstaunliches Produkt, das Lanobase 18 heißt und von Bestattern verwendet wird, um Körperflüssigkeiten aus den inneren Organen aufzusaugen und in eine zähe, fast schon kunststoffartige Masse zu verwandeln.
Während der Fäulnisphase hatte ich die Nase vorn, weil ich für eine kalte, kontrollierte Umgebung gesorgt hatte. Es gab keine Insekten, die ihre Eier in mein vermoderndes Fleisch hätten ablegen können, keine verschmutzte Luft oder Sonstiges in der Art. Ich nutzte die Zeit, um den Einbalsamierungsprozess zu beginnen. Der war mittlerweile über die Maßen notwendig geworden, da mein eigener Gestank sich zu etwas wahrhaft Grässlichem entwickelt hatte. Ich musste mir immer wieder Kölnischwasser auf die Zunge kippen, um all das wegzuätzen, was von meinen Atemwegen noch übrig war, da ich den Geruch, obwohl ich gar nicht atmete, seltsamerweise irgendwie wahrnahm.
Als ich in Phase drei trat, war ich mehr als nur halb gesäuert, und nun wurde es allmählich leichter. Was von meinem Fleisch bis jetzt überdauert hatte, nahm im Verlauf einiger Wochen eine harte, wachsartige Konsistenz an. Leichenwachs nennt man das. Anfangs ist das etwas unangenehm, denn es fühlt sich noch nicht einmal annähernd wie etwas Organisches an, aber es hat den großen Vorteil, dass es beinahe geruchsfrei ist. Jetzt konnte ich es endlich wieder mit mir aushalten.
Der Verfall, der dann noch folgt, betrifft vor allem die Knochen und hat mit der Umwandlung organischer Bestandteile zu tun. Dieser Prozess wird als Diagenese bezeichnet. Ich kümmerte mich nicht weiter darum und wandte meine Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.
Leider hatte ich, während sich das alles vollzog, ein, zwei Dinge übersehen. Ich hatte den Vorführraum und den angrenzenden Generatorraum wie den verdammten Führerbunker abgesichert, mich jedoch nicht um die Türen und Fenster im Erdgeschoss gekümmert. Aus einem mir nicht nachvollziehbaren Grund hatte ich das für unnötig gehalten: Das Gaumont hatte so viele Jahre leer gestanden, und nie war etwas geschehen. Warum sollte sich ausgerechnet jetzt jemand dafür interessieren?
Genau das war das Schlüsselwort: ‚ nie war etwas geschehen‘. Ich hatte mir eine Menge Sachen liefern lassen für den Einbau der Klimaanlage und der Gefriereinheiten, und außerdem hatte ich von einem Bauunternehmen die oberen Wände und Türen verstärken lassen. Genauso gut hätte ich auch Einladungskarten verschicken können, denn mit meinen Aktivitäten tat ich der ganzen lausigen Nachbarschaft kund, dass das Kino jetzt bewohnt war und es
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