The Sign Bd. 1 Nur zu deiner Sicherheit
versuchte, würde ich sie abhalten. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich war für Sandy eher so was wie eine Mutter und nicht ihre beste Freundin.
Auf einmal war ihre Stimmung wie ausgewechselt, dem Himmel sei Dank. »Rutsch rüber«, meinte sie. »Wir kommen gleich zu diesem riesigen Bauernhof, ich will die Kühe sehen. Kannst du dir vorstellen, dass die Leute früher Fleisch gegessen haben? Ich könnte kotzen, wenn ich nur daran denke.«
Sandy ist fast so verrückt nach Kühen wie nach Jungs. Zugegeben, wir sind beide voll die Tierfans. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir so dicke Freundinnen sind. Als Ginnie mit Dee und mir aus der Stadt raus nach Cementville umzog, war ich überzeugt, dass ich nie eine Freundin finden würde. Doch schon an meinem ersten Tag in der Schule lernte ich Sandy kennen. Wir trugen beide das gleiche Oberteil, mit einem Pferd vorne drauf. Und nach der Schule ist sie an derselben Transithaltestelle ausgestiegen wie ich. Und dann stellte sich raus, dass wir auch noch Tür an Tür wohnten. Seitdem sind wir die besten Freundinnen. Auch wenn sie mir hin und wieder echt auf die Nerven geht.
Die monotone Gleichförmigkeit der Vorstadt wurde nun endlich abgelöst von einer grünen Oase aus sanft gewölbten Hügeln und Baumgruppen. Als der Expresszug sich Mill Run Farm näherte, drückten Sandy und ich unsere Nasen am Fenster platt wie zwei kleine Kinder. Eine Herde schwarz-weiß gefleckter Kühe graste friedlich in der Ferne. Dann tauchten plötzlich zwei Pferde auf, die an einem weißen Lattenzaun entlang um die Wette liefen.
»Sie sind wunderschön«, hauchte ich.
Sandy drückte meine Hand. »Nina, ich weiß, dass du nicht möchtest, dass ich irgendwelche Dummheiten mache«, flüsterte sie leise. Der Bauernhof verschwand nun in der Ferne, sodass wir uns wieder in unsere Sitze zurücklehnten. »Hey, hast du schon deine ganzen Hausaufgaben gemacht?«
»Klar«, erwiderte ich. »Regionalpolitik und Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts. Lit ist ja toll, aber Politik find ich abartig.«
Wir lachten beide.
»Ich pack Lit nicht«, meinte Sandy. »Du musst mir unbedingt helfen. Versprochen?«
»Logisch.« Sie verließ sich immer darauf, dass ich ihr die Bücher erklärte, aber mir machte das nichts aus. Es lag auch nicht daran, dass sie nicht lesen konnte oder wollte, sie begriff nur die tiefere Bedeutung nie. Klar, mir gelingt das auch nicht immer, aber Ginnie spricht sehr viel mit mir über das, was ich lese, und hilft mir, mich da durchzuackern.
»Jetzt sag mal, willst du dich fürs We LS bewerben?«
»Sandy, du hast’s versprochen.« Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
»Tut mir leid, ich hab vergessen, dass Ginnie dich ja nicht lässt.« Sie kitzelte mich. »Komm schon, sei nicht sauer auf mich.«
Ich konnte nicht anders, ich musste einfach lachen. Außerdem wollte ich eh nicht böse sein auf sie – deshalb gab ich es auf.
»Wollen wir erst zu deiner Grandma, bevor wir uns mit Mike treffen?«, erkundigte sie sich.
Ich nickte.
»Du weißt schon, dass dein Großvater mir Angst macht.« Sie vergrub die Hände in ihrer Tasche und brachte eine kleine Tüte zum Vorschein. »Willst du eins?«
Ich steckte mir eins von den mit Zucker überzogenen Zitronenbonbons in den Mund. »Stimmt schon, Grandpa ist ein bisschen seltsam. Aber ich dachte eigentlich, du hättest dich allmählich an ihn gewöhnt.«
Sandy steckte sich gleich mehrere Bonbons in den Mund und ließ die Tüte wieder in ihrer Tasche verschwinden. »Bestimmt nicht«, murmelte sie und schob die Drops mit der Zunge zur Seite, damit sie reden konnte. »Ich versteh fast nichts von dem, was er sagt, und ich find’s echt gruselig, wenn er sein Bein abnimmt.«
»Ich versuch, ihn davon abzuhalten«, versprach ich, wobei ich in mich hineinkicherte. Als ob irgendjemand Grandpa von irgendwas abhalten könnte. »Vielleicht sollten wir ja in den Zoo gehen. Das ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, wie wir Mike von den ganzen neuen Spots in der Stadt fernhalten.«
»Dann gehen wir also zu Grandma, bevor wir uns mit ihm treffen, ja?«
Ich lachte. Uns war beiden klar, dass, wenn Mike mit uns kam, er Grandpa dazu überreden würde, sein Bein abzunehmen. Mike war völlig fasziniert von der Prothese. »Sandy, das ist doch nichts weiter als ein altes GI -Bein.«
» GI -was?«
»Zum abermillionsten Mal, Minihirn …« Ich klopfte ihr an die Stirn. » GI steht für Government Issue, also Regierungssache oder Eigentum der
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