The Stand. Das letze Gefecht
Müll war sicher, daß es sich darum handelte - begann der Verkehrsstau wieder. Und dahinter verschwand der Verkehr Richtung West und Ost in den beiden dunklen Löc hern eines Tunnels, den ein in den Fels geschraubtes Schild als EISENHOWER TUNNEL identifizierte.
Er trat mit klopfendem Herzen näher, wußte aber nicht recht, was er eigentlich vorhatte. Der in den Fels hineingetriebene Doppelschacht schüchterte ihn ein, und als er näherkam, wurde daraus regelrechtes Entsetzen. Er hätte voll und ganz verstanden, was Larry Underwood vor dem Lincoln Tunnel empfunden hatte; in diesem Augenblick waren sie unwissentlich verwandte Seelen, in nacktem Grausen vereint.
Der Hauptunterschied war der, daß der Fußgängerweg im Lincoln Tunnel hoch über der Straße lag, hier dagegen so niedrig, dass manche Autos tatsächlich versucht hatten, an der Seite zu fahren, zwei Reifen auf dem Fußweg und zwei auf der Straße. Der Tunnel war zwei Meilen lang. Man konnte ihn nur durchqueren, indem man in völliger Finsternis von Auto zu Auto kroch. Das würde Stunden dauern.
Der Mülleimermann spürte, wie seine Eingeweide zu Wasser wurden.
Er sah lange Zeit in den Tunnel hinein. Larry Underwood hatte seinen Tunnel vor mehr als einem Monat trotz seiner Angst betreten. Nach reiflicher Überlegung drehte sich der Mülleimermann um und ging mit hängenden Schultern und zuckenden Mundwinkeln Richtung Kid zurück. Er machte nicht nur kehrt, weil es keine mühelose Möglichkeit zu gehen gab oder weil der Tunnel so lang war (Müll hatte sein ganzes Leben in lowa verbracht und keine Ahnung, wie lang der Eisenhower Tunnel war). Larry Underwood war von Eigennutz getrieben (möglicherweise beherrscht) worden, von der simplen Logik des Überlebens. New York war eine Insel, er mußte runter. Der Tunnel war der schnellste Weg. Also wollte er, so schnell es ging, hindurch, so wie man sich die Nase zuhielt und schnell schluckte, wenn man wußte, die Medizin schmeckte schlecht. Der Mülleimermann war eine geschlagene Kreatur und daran gewöhnt, die Hiebe und Knüffe des Schicksals und seiner eigenen unerklärlichen Natur hinzunehmen... und zwar mit gesenktem Kopf. Seine katastrophale Begegnung mit The Kid hatte ihn darüber hinaus entmannt, sie war fast einer Gehirnwäsche gleichgekommen. Er war mit Geschwindigkeiten dahingebraust, die Gehirnschäden hervorrufen konnten. Er war unter Todesdrohung gezwungen worden, eine Dose Bier in einem Zug leerzutrinken und sich hinterher nicht zu übergeben. Er war zu Analverkehr mit einem Revolverlauf gezwungen worden. Er wäre fast dreihundert Meter tief vom Straßenrand abgestürzt. Konnte er es, als krönenden Abschluß, da noch ertragen, durch ein Loch im Berg zu kriechen, ein Loch, in dem er wer weiß welche Schrecken der Dunkelheit kennenlernen mochte? Nein. Andere vielleicht, aber nicht der Mülleimermann. Zudem besaß die Vorstellung umzukehren eine gewisse Logik. Zugegeben, es war die Logik des Geschlagenen und halb Wahnsinnigen, aber sie besaß dennoch ihre ureigene perverse Faszination. Er war nicht auf einer Insel. Wenn er den ganzen restlichen heutigen und den morgigen Tag zurückgehen mußte, um eine Straße zu finden, die über den Berg führte, anstatt durch ihn hindurch, würde er es auf sich nehmen. Richtig, er mußte an Kid vorbei, aber er dachte, Kid könnte seine Meinung geändert haben und schon aufgebrochen sein, obwohl er das Gegenteil geschworen hatte. Vielleicht war er sturzbetrunken. Vielleicht war er auch (obwohl Müll bezweifelte, daß ihm so außergewöhnliches Glück widerfahren würde) schon tot. Schlimmstenfalls konnte Müll, sofern Kid noch da war, noch beobachtete und wartete, einfach abwarten, bis es dunkel wurde, und dann an ihm vorbeischleichen wie ein ( Wiesel ) kleines Tier im Unterholz. Dann würde er einfach weiter nach Osten gehen, bis er die Straße gefunden hatte, die er suchte.
Er kam zu dem Tanklastwagen, von dem er Kid und dessen mythisches Coupe zuletzt gesehen hatte; auf dem Rückweg war er schneller vorangekommen. Diesmal kletterte er nicht hinauf, wo er als Silhouette vor dem Abendhimmel leicht zu sehen gewesen wäre, sondern kroch auf Händen und Knien von einem Auto zum anderen und versuchte, ganz leise zu sein. Vielleicht war Kid wach und wachsam. Bei einem wie Kid konnte man nie wissen... und es zahlte sich nicht aus, Risiken einzugehen. Er wünschte sich, er hätte die Waffe eines der Soldaten mitgenommen, obwohl er in seinem ganzen Leben noch nie
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