The Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Rache ist nicht genug: Band 3 (German Edition)
schien meinen Gedanken zu erraten.
»Ihre Schuhe, mein Sohn, zeigen, dass Sie offensichtlich ein Gentleman sind, ungeachtet Ihrer gegenwärtigen, ähm, Situation«, sagte er und beäugte mein Schuhwerk. Ich wandte den Blick ebenfalls auf meine Schuhe – sie waren abgetreten und schmutzig, denn ich hatte sie seit Louisiana nicht mehr geputzt. »Der Schnitt ist italienisch, das Leder ist fein. Ich kenne mich mit Leder aus.« Er tippte auf seinen eigenen Schuh, der aussah, als sei er aus Krokodilsleder. »So habe ich angefangen. Ich bin Winfield T. Sutherland, Eigentümer von Sutherland’s Mercantile. Einige meiner Nachbarn haben ihr Geld mit Öl oder Eisenbahnen gemacht, aber ich habe mein Vermögen ehrlich erworben, indem ich den Leuten verkauft habe, was sie brauchten.«
Die Tür zum Arbeitszimmer wurde geöffnet, und eine junge Frau, die ich bereits im Eingang gesehen hatte, trat ein. Sie war beherrscht und anmutig, ihre Schritte waren königlich und bestimmt. Ihre Haube war schlicht – beinah wie die einer Dienerin –, betonte aber ihre kultivierten Züge. Sie war eine feinere Ausgabe des Mädchens, das ich im Park gefunden hatte. Ihr Haar hatte eine subtilere Goldschattierung und fiel in weichen natürlichen Löckchen über ihre Schultern. Ihre Wimpern umrahmten dicht und sehr lang die blauen Augen, in denen ein Anflug von Grau lag. Ihre Wangenknochen waren ein wenig höher, ihre Züge weicher.
Meine menschliche Wertschätzung ihrer Schönheit rang mit der kalten Einschätzung meiner Vampirsinne, was ihren Körper betraf: gesund und jung.
»Der Doktor ist gerade eingetroffen, aber Mama denkt, es wird ihr bald wieder gut gehen«, sagte das Mädchen gelassen. »Die Wunde ist nicht so tief, wie es zuerst schien, und offensichtlich hat der Heilungsprozess schon von allein begonnen. Es ist in jeder Hinsicht ein Wunder.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her, wohl wissend, die widerstrebende Quelle dieses »Wunders« gewesen zu sein.
»Meine Tochter Lydia«, stellte Winfield uns vor. »Die königlichste meiner drei Grazien. Sie haben Bridget gefunden. Sie ist ein wenig … ah … stürmisch.«
»Sie hat den Tanzabend ohne Begleitung verlassen«,
erklärte Lydia mit einem gezwungenen Lächeln. »Meiner Meinung nach solltest du nach einem etwas stärkeren Wort als ›stürmisch‹ suchen, Papa.«
Ich mochte Lydia auf Anhieb. Sie hatte nichts von der Joie de vivre, die Callie zu eigen gewesen war, aber sie besaß Intelligenz und Sinn für Humor, die ihr gut zu Gesicht standen. Ich mochte sogar ihren Vater, trotz seines polternden Gehabes. In gewisser Weise erinnerte mich hier alles an mein eigenes Zuhause, an meine Familie, damals, als ich noch eine gehabt hatte.
»Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, Stefan«, sagte Winfield. »Und verzeihen Sie mir, wenn ich anmaßend klinge, aber ich habe die Vermutung, dass Sie kein richtiges Heim haben, in das Sie zurückkehren können. Warum bleiben Sie nicht über Nacht? Es ist zu spät, um irgendwohin zu gehen, und Sie müssen erschöpft sein.«
Ich hob abwehrend die Hände. »Nein, das kann ich nicht annehmen.«
»Natürlich müssen Sie es annehmen«, bemerkte Lydia.
»Ich …« Sag nein. Das Bild von Callies grünen Augen tauchte vor mir auf, und ich dachte an meinen Schwur, abseits der Menschen zu leben. Aber die Annehmlichkeiten dieses schönen Hauses erinnerten mich so sehr an das menschliche Leben, das ich in Mystic Falls hinter mir gelassen hatte, dass es mir schwerfiel zu tun, was ich tun sollte.
»Ich bestehe darauf, Junge.« Winfield legte mir eine fleischige Hand auf die Schulter und schob mich aus dem Salon. »Es ist das Mindeste, was wir Ihnen zum Dank anbieten können. Eine ordentliche Mütze Schlaf und ein herzhaftes Frühstück.«
»Das ist sehr freundlich, aber …«
»Bitte«, sagte Lydia mit einem leichten Lächeln. »Wir sind Ihnen ja so dankbar.«
»Ich sollte wirklich …«
»Großartig!« Winfield klatschte in die Hände. »Das hätten wir geregelt. Wir werden auch dafür sorgen, dass man Ihre Kleider wäscht und bügelt.«
Wie ein Pferd, das vor einem Rennen an einer Reihe von Stallburschen vorbeigeführt wird, drängte mich die Haushälterin der Sutherlands mehrere Treppenfluchten hinauf in einen hinteren Flügel des Hauses, von dem aus man auf eine in Richtung Osten verlaufende Gasse blickte. Statt in meiner gewohnten Höhle neben den Grabsteinen würde ich in einem riesigen Himmelbett schlafen, in einem Zimmer
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