The Vampire Journals - Verwandelt: Band 1 (German Edition)
zusammengesunken in seinem Stuhl, sein Hals war entblößt. Und dort waren zwei vollkommene Löcher zu sehen, direkt in seiner Halsschlagader.
Kein Blut. Keine Kampfspuren. Keine zerrissene Kleidung. Alles war sauber und ordentlich. Es war, als hätte eine Fledermaus sein Blut ausgesaugt und wäre dann davongeflogen, ohne etwas zu berühren. Es war gespenstisch und absolut grauenerregend. Wäre seine Haut nicht so weiß gewesen, hätte man geglaubt, dass er noch lebte und nur ein Nickerchen hielt. Sie war sogar versucht, zu ihm zu gehen und nach seinem Puls zu suchen. Aber ihr war klar, wie dumm das gewesen wäre.
Sergei Rakow. Er war zwar noch jung, aber nach dem, was sie gehört hatte, ein arrogantes Arschloch gewesen. Konnte er also bereits Feinde gehabt haben?
Wer zum Teufel konnte das getan haben? Ein Tier? Ein Mensch? Eine neuartige Waffe? Oder war er es selbst gewesen?
»Der Angriffswinkel schließt Selbstmord als Todesursache aus«, erklärte Detective Ramos. Er stand mit seinem Notizblock neben ihr und las – wie immer – ihre Gedanken.
»Ich will alles wissen, was wir über ihn in Erfahrung bringen können«, forderte sie. »Ich will wissen, wem er Geld schuldete. Ich will wissen, wer seine Feinde waren – ich will wissen, wer seine Exfreundin und wer seine zukünftige Ehefrau war. Ich will alles. Vielleicht ist er den falschen Leuten auf die Füße getreten.«
»Ja, wird erledigt«, antwortete Ramos und eilte aus dem Zimmer.
Warum wohl würde jemand genau diesen Zeitpunkt auswählen, um ihn zu ermorden? Warum während der Pause? Steckte eine Botschaft dahinter?
Langsam ging sie durch den mit dickem Teppich ausgelegten Raum und betrachtete den toten Sänger aus jeder möglichen Perspektive. Er hatte lange, gewellte schwarze Haare und war sogar jetzt noch auffallend attraktiv. Was für eine Verschwendung.
Just in dem Moment, als sie das dachte, wurde es plötzlich laut im Raum. Alle Polizisten drehten sich gleichzeitig um. Ein kleiner Fernseher in der Ecke hatte sich eingeschaltet. Er zeigte Aufnahmen des Konzerts vom heutigen Abend. Beethovens Neunte erfüllte das Zimmer.
Einer der Beamten ging Richtung Fernseher, um ihn abzuschalten.
»Nicht«, befahl sie.
Er blieb stehen.
»Ich möchte das gerne hören.«
Sie starrte Sergei an und lauschte seiner Stimme. Der Stimme des Mannes, der vor nur wenigen Stunden noch gelebt hatte. Es war gespenstisch.
Noch einmal umkreiste Grace den Raum. Diesmal kniete sie sich hin.
»Wir haben bereits das ganze Zimmer untersucht«, versicherte ein FBI -Agent ungeduldig.
Doch da entdeckte sie etwas aus dem Augenwinkel. Sie schob die Hand weit unter den Sessel. Dann reckte sie den Hals und drehte den Arm zur Seite.
Schließlich fand sie, was sie gesucht hatte. Mit rotem Kopf stand sie auf und hielt ein kleines Stück Papier hoch.
Die Polizisten starrten sie an.
»Der Rest einer Eintrittskarte«, sagte sie, nachdem sie den Papierfetzen mit ihrer behandschuhten Hand untersucht hatte. »Rechter Balkon, Sitz drei. Vom heutigen Konzert.«
Sie blickte auf und sah die Polizisten ernst an. Ausdruckslos erwiderten sie ihren Blick.
»Glauben Sie, das Ticket hat dem Mörder gehört?«, fragte schließlich einer.
»Nun, eins ist mal sicher«, antwortete sie und warf einen letzten Blick auf den toten russischen Opernstar. »Ihm gehörte es nicht.«
* * *
Kyle stolzierte über den roten Teppich den Gang entlang und bahnte sich mühelos einen Weg durch das Gedränge. Wie immer war er schlecht gelaunt. Er hasste Menschenansammlungen, und er hasste die Carnegie Hall. Irgendwann um 1890 herum hatte er hier einmal ein Konzert besucht, und es war nicht gut gelaufen. Er war sehr nachtragend.
Der hohe schwarze Kragen seines Mantels verdeckte seinen Nacken und rahmte sein Gesicht ein. Er marschierte einen Gang entlang, und sämtliche Leute machten ihm Platz. Polizeibeamte, Sicherheitsleute, Presseagenten – alle bildeten eine Gasse für ihn.
Menschen sind so leicht zu kontrollieren, dachte er. Ein kleines bisschen mentale Beeinflussung – und schon hasten sie aus dem Weg wie dumme Schafe.
Kyle war ein Vampir aus dem Blacktide Clan und hatte in seinen mehr als dreitausend Jahren schon alles erlebt, was man nur erleben konnte. Er war dabei gewesen, als Christus gekreuzigt wurde. Er war Zeuge der Französischen Revolution gewesen. Er hatte miterlebt, wie sich die Pocken in Europa ausbreiteten – er hatte sogar mit dazu beigetragen. Es gab eigentlich nichts mehr, was ihn
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