The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
Clan-Namen O’Doherty tragen sollte. Also meldete sie die Geburt eines Shane Paul O’Doherty. Sie hatte ja keine Ahnung, wie oft katholische Schulen die Geburtsurkunde zu sehen verlangten, wenn der Familienname des Kindes von dem des „Vaters“ abwich (und sei es auch nur beim ersten Buchstaben).
Nicht nur der Name war problematisch, sondern auch die Nationalität – ich wurde geboren im umstrittenen Nordirland, welches von der Republik Irland als ihr zugehörig betrachtet wird und von Großbritannien besetzt ist. Ich konnte entweder Ire oder Brite sein oder auf Wunsch auch doppelte Staatsangehörigkeit haben. Und so wurde ich also geboren, mit einem Namen versehen und doppelt einem Staat zugeordnet – ohne Mitsprache bei diesen so wichtigen Dingen.
Ich wurde an zwei Orten gleichzeitig geboren: Römisch-katholische/irische Nationalisten sprechen von der Stadt Derry, während protestantisch/unionistische (d. h. pro-britische) Bürger sie Londonderry nennen, und das ist auch die offizielle Bezeichnung. So war der Name meines Geburtsorts ebenfalls problematisch und ist es immer noch.
Derry war als Geburtsort keine gute Wahl. Obwohl es eine überwiegend katholische und nationalistische Stadt war, stand sie unter völliger Kontrolle der protestantisch-unionistischen [1] Minderheit durch „gerrymandering“, eine Politik, bei der Wahlkreisgrenzen unfair und parteiisch manipuliert wurden. Diese Lage der Dinge sollte jedoch nicht ewig so weiter bestehen, und ich wurde rechtzeitig für den blutigen Wandel geboren. In Derry kümmerten Katholiken ohne Arbeit vor sich hin oder wanderten aus, um woanders welche zu finden. Es war daher nichts Ungewöhnliches, dass meine vier Brüder und eine meiner Schwestern Derry verließen, als ich noch sehr jung war. Mein jüngerer Bruder ging fort, während ich im Gefängnis saß. Ich blieb als einziges männliches Familienmitglied in Irland.
Um mich aus dem Geburtskrankenhaus, in dem der Schlag auf mein Hinterteil den ersten meiner vielen Proteste auslöste, nach Hause zu bringen, hatten meine Eltern es nicht weit. Wir wohnten in der langgezogenen Abwärtsneigung der breiten Clarendon Street direkt unterhalb der Klinik.
Die Clarendon Street und ihre großen georgianischen Häuser aus roten Backsteinen waren damals gewissermaßen Teil des Krankenhauses. Manche Häuser waren untereinander zu großen Schwesternheimen verbunden, und eine beachtliche Zahl von Ärzten und Zahnärzten mitsamt ihren Familien bewohnten die anderen. Manche hatten Praxen in den Erd- oder Untergeschossen. Die Straße hatte auch einen Fußpfleger vorzuweisen, einen Gebissmacher, zwei Mineralwasserfabrikanten (Clarendon Springs und Madden), eine große Herberge des Christlichen Vereins Junger Frauen, irische Musik- und Tanzlehrer und ruhige Häuser, die Vollverpflegung anboten oder in billigerer Version Übernachtung mit Frühstück. An nahezu jedem Haus hingen ein oder mehrere Messingschilder, die von Hausmädchen (manche von ihnen in Uniform) jeden Morgen blankpoliert wurden, wobei die Frauen einander zunickten oder winkten. An dem der Stadtmitte zugewandten Ende der Straße gab es eine Hemdenfabrik (Derry war berühmt für seine Hemdenfabrikation), ein Wettbüro und einen italienischen Schnellimbiss, allesamt gesellschaftlich etwas „niedriger“ angesehen.
Der Stadtteil versorgte nicht nur das Fleisch, sondern auch die Seele: Es gab mindestens fünf Kirchen verschiedener Konfession in der Nachbarschaft, unter ihnen die große, imposante St. Eugenius-Kathedrale, in der ich ein paar Jahre lang Messdiener war. Sonntags sah man Paraden gegensätzlicher Religionen, die sich alle auf Jesus Christus gründeten, aber nur wenige spiegelten auch seine Liebe.
Wem Religion nicht half, der konnte Zuflucht suchen in der etwas schauerlichen städtischen Geisteskrankenanstalt, deren ausgedehntes Gelände hinter einer riesigen langen Mauer an der Asylum Road lag. Rückblickend hätte man viele der Politiker und Kirchenmänner, die Nordirland später so sehr schadeten, dort wegsperren können, aber ihre Zukunft war genau wie meine eigene verborgen. Stattdessen wurde passenderweise das neue Polizei-Hauptquartier dort errichtet.
Die Lough Swilly-Busgesellschaft hatte ihren Sitz eine Straße weiter und beförderte Derrys Urlauber den ganzen Sommer hindurch nach Donegal und zurück. Sie brachte auch jeden Tag Hunderte katholischer Mädchen zum ländlich gelegenen Thornhill College, wofür ich, als ich älter wurde,
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