The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
der Flucht war. Ein Detektive hielt mir später im Verhör das verblasste Dokument unter die Nase und meinte, so etwas sei ihm noch nie untergekommen. Ich war überrascht und peinlich berührt, weil meine kindliche Leidenschaft in ihrer unschuldigen geneigten Handschrift so bloßgelegt war. Trotz der Bemühungen eines Anwalts, mir dieses Stückchen Eigentum wieder zu verschaffen, kümmert es nach wie vor in einer RUC-Akte vor sich hin, zu subversiv, als dass man es freigeben könnte ...
Bereits als Zehnjähriger hatte ich niemals irgendwelche Zweifel daran, dass ich eines Tages als Freiwilliger in der IRA kämpfen würde, um die uralte Ungerechtigkeit der Besetzung Irlands durch die Briten zu beenden. Es gab nichts, was ich mir im Leben so sehr wünschte, und es erschien mir als der heldenhafteste und patriotischste Dienst, den ich meinem Land erweisen konnte. Was brachte mich zu dieser jugendlichen Einstellung, und etwas später zu ihrer praktischen Verwirklichung? Und was hat schließlich meine Meinung zu IRA-Terror, zu Gewalt schlechthin, egal ob britisch oder irisch, protestantisch oder katholisch, geändert? Ich werde versuchen, die Kräfte und die Ereignisse zu erklären, die meinen Lebenslauf steuerten, und beginne mit dem allerersten – meiner Geburt.
Fortpflanzung ist wie Revolution – sie hat nichts Demokratisches. Und so wurde ich wie die Irische Republik blutig und überrascht, strampelnd und schreiend geboren. Es war nicht weiter schlimm, dass ich als siebtes Kind der Frau eines Schullehrers zur Welt kam und bereits vier Brüder und zwei Schwestern zur Gesellschaft hatte, und auch nicht, dass mein Geburtstag, der 25. Januar, so kalt war, dass meine Mutter mich noch jahrelang als „das Schneebaby“ bezeichnete.
Nein, es lag alles daran, dass ich 1955 mitten in Derry in Nordirland in einer römisch-katholischen, nationalistisch geprägten Familie geboren wurde, dreizehn Jahre vor dem Beginn der Bürgerrechtsbewegung, und vierzehn Jahre bevor die IRA eine weitere Kampagne zur Vertreibung der Briten aus Nordirland startete. Das war meine Ausgangsposition. Im Rückblick war der Schnee ein Vorzeichen schlechter Zeiten, die in mein Leben kommen sollten.
Meiner Mutter, die ihr Neugeborenes glücklich in den Armen wiegte, und meinem Vater, der die unproblematische Geburt feierte, hätte es im Herzen geschaudert, hätten sie vorhersehen können, dass ihr Kind im Alter von dreizehn Jahren während der Bürgerrechtsbewegung die heftigen Unruhen im Bogside-Viertel und ein Jahr später das Erscheinen der britischen Armeesoldaten in den Straßen miterleben würde; dass der Junge mit fünfzehn der offiziellen Jugendabteilung der IRA beitreten und sich so bald wie möglich dorthin versetzen ließ, wo es richtig zur Sache ging, nämlich zur Provisional IRA; dass er mit sechzehn beobachten würde, welche Auswirkungen Internierung ohne Gerichtsverhandlung auf Familien in Derry hatte, während er sich am Bombenlegen und an Schießereien beteiligte so oft die IRA es zuließ; dass er mit siebzehn den schießenden Fallschirmjägern am „Bloody Sunday“ so nahe war, dass der Freund, mit dem zusammen er weglaufen wollte, gefasst wurde; dass er mit achtzehn Briefbomben an prominente britische Persönlichkeiten schickte, in London Bomben hochgehen ließ und schließlich mit zwanzig während eines IRA-Waffenstillstands in einen Hinterhalt der RUC geriet, verhaftet wurde und von Richter Lord Justice Thesiger am Gerichtshof Old Bailey in London zu dreißig Mal lebenslänglich und zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Nein, Fortpflanzung hat nichts Demokratisches. Das Kind muss nicht nur seine Eltern so annehmen, wie sie sind, mit allen Ecken und Kanten, sondern auch den Ort und die Zeit, in die sie es hineinbringen. Es muss die Nationalität und die Religion, die Kultur und die Namen ertragen, die ihm aufgezwungen werden. Es muss Schauspieler werden in vorbestimmtem Kostüm und auf vorbestimmter Bühne. Wer immer sich dieses ganze Gehet-und-mehret-euch-Sache ausgedacht hat, hat viel zu wünschen übrig gelassen.
Meine römisch-katholischen Eltern, die von meiner Zukunft nichts ahnten, nannten mich „Shane Paul“ – letzteres zu Ehren der Feier der Bekehrung des Apostels Paulus, was zufällig mein Geburtsdatum war. Eine Verwandte, die meine Geburt anmeldete, fand, dass das Kind eines Vaters namens Doherty und einer Mutter, deren Mädchennamen ebenfalls Doherty gewesen war, den noch irischeren und passenderen
Weitere Kostenlose Bücher