The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
beträchtliches Interesse entwickelte. Weitere große Hemdenfabriken lagen in der Nähe, und so strömte jeden Tag eine Flut von Frauen und Mädchen, Patienten und Büßern regelmäßiger als die Gezeiten durch die Straßen. Es war eine sehr belebte Gegend, und die Arbeiterinnen und Mädchen und die größtenteils arbeitslosen Männer und Jungen waren für mich ein vollkommen üblicher Anblick.
Hinter dem unteren Teil der Clarendon Street und der Geschäftsstraße Strand Road lag der breite, träge Foyle-Fluss, ein Meeresarm mit Hafen, der Nordirland von Donegal in der Republik Irland trennte. Dort gab es einen amerikanischen Marinestützpunkt und viele Flottenbesuche mit Seeleuten von Schiffen und U-Booten. Abends fand man es natürlich interessant, an den Kaimauern bei den festgemachten U-Booten zu stehen, deren Besatzungen den gaffenden Kindern Münzen und Zettel zuwarfen – „Hier, gib das deiner Schwester!“ riefen sie, während die münzenbeschwerten Zettelchen zu unseren Füßen landeten. Mit acht oder neun Jahren konnte ich mir absolut nicht erklären, woher sie wussten, dass wir Schwestern hatten, und wieso sie diesen überhaupt Zettelchen schreiben wollte. Mit einer meiner Schwestern stritt ich mich dauernd. So einer konnte man doch wohl nicht schreiben wollen!
Aber die Clarendon Street war angesehen und recht gut situiert, ein bisschen versnobt und von protestantischen und katholischen Geschäftsleuten (überwiegend Protestanten) bewohnt, wobei ich immer das Gefühl hatte, meine nicht ganz so gut gestellte Familie sei ein bisschen fehl am Platz. Die meisten Familien in der Straße besaßen mindestens ein Auto, manche auch zwei, und einige hatten Rennboote in ihren Garagen, mit denen sie am Wochenende auf dem Lough Foyle herumrasten. Mit Ausnahme des unseren hatten die meisten Häuser ein oder mehrere Hausmädchen oder Haushälterinnen, die sich um die Kinder (oder die Junggesellen unter den Ärzten) kümmerten, und besondere Spielzimmer für die Kinder. Wohlhabende katholische und protestantische Familien schickten ihre Kinder meist auf Internatsschulen. Meine Familie konnte sich das nicht leisten.
Mein Vater, der Jahrzehnte lang oberhalb des Bogside-Viertels an der Brow of the Hill-Grundschule der Christlichen Brüder unterrichtete, besaß seit seiner Heirat kein Auto. Jahrelang bewies er Charakterstärke, indem er mit dem Fahrrad zur Schule und zurück strampelte oder den langen Weg bei jeglichem Wetter zu Fuß ging, wobei er im Winter einen riesigen, schweren Trenchcoat, Überschuhe und einen robusten Schirm trug.
Zwei Brüder meines Vaters, William und George, waren am irischen Unabhängigkeitskrieg beteiligt. George O’Doherty wurde später Oberstleutnant in der irischen Armee, während William Verwaltungsbeamter wurde. Beide lebten in Dublin. Der einzige gedruckte Hinweis auf die Aktivität der Familie meines Vaters bei der Old IRA (eine Bezeichnung für die IRA während des Unabhängigkeitskriegs), den ich jemals zu lesen bekam, war eine Ausgabe der Kapuziner-Annalen, bezeichnenderweise des Jahres 1969. Ich erfuhr, dass das Haus der Dohertys in der Waterloo Street während des Unabhängigkeitskrieges ein IRA-Kontakthaus gewesen war. Allerdings fand ich dies erst heraus, als ich selbst in der IRA aktiv und auf der Flucht war. Neil Gillespie, ein überlebender Old IRA-Veteran, erzählte mir in seinem Haus in Brandywell irgendwann in den frühen Siebzigern, dass mein Onkel George ihn vor der standrechtlichen Erschießung bewahrt hatte, als er als Anti-Vertrags-Abweichler von der Pro-Vertrags-IRA gefangengenommen wurde. Meine Tante Lizzie spielte ebenfalls ihre Rolle in der Old IRA, wie ihre Medaillensammlung beweist. Leider habe ich sie nie nach ihren Erfahrungen gefragt, was ich bedauert habe, als sie starb, denn da war es dafür zu spät.
Ich habe meine Onkel George und William nie kennengelernt, und der Kontakt zwischen meinen Eltern und dem Dubliner Teil der Familie war spärlich, da er sich auf Hochzeiten und Beerdigungen beschränkte. Dublin war in mehrfacher Hinsicht weit von Derry entfernt und ist es immer noch. Wenn mein Vater George oder William jemals erwähnte, habe ich wohl kaum zugehört. Er sagte nie ein einziges Wort zu mir über die Verbindung seiner Familie zur Old IRA oder diese Zeit überhaupt, und niemals habe ich ihn je ein einziges Wort zum Thema Republikanismus (weder dafür noch dagegen) sagen hören. Ich habe auch niemals mit ihm über Politik diskutiert oder ihn
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