The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
hätte eine unvergängliche Seele in mir, die durch verzeihliche und durch Todsünden entstellt werden oder durch tätige Reue oder das Sakrament der Beichte in reinem Glanz erstrahlen könne. Ich glaubte, meine Seele sei ein Silberteller in meinem Bauch, der glänzte, wenn ich brav war und schwarze Flecken aufwies, wenn ich unartig war. Am schlimmsten war, dass der Tod mir als Schreckensgericht dargestellt wurde, vor dem sich ein böser Teufel und ein guter Engel um meine Seele balgten. Der Tod konnte mich jeden Augenblick aus dem glücklichen Leben mit meiner Familie entreißen, und keine noch so heißen und bitteren Tränen würden es verhindern können. Der Tod war, wie ich wusste, ein Stillstand des Herzens. Man muss sich vorstellen, wie ich mich als Kind im dunklen Schlafzimmer unter der Decke verbarg, gelähmt von der Angst, dass das Poltern im Kamin oder das Knacken des Schranks oder Fensters vom Teufel kam, der sich anschickte, mich dem Leben zu entreißen, und dass mein Herzrasen das Vorzeichen eines Kindstodes sein könnte!
Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie eines Nachts die Angst zu viel wurde und ich mich aus der Umhüllung meiner Bettdecke befreite und durch die Dunkelheit in der Hoffnung zur Tür stolperte, dass mich keine Teufel oder Geister überfallen würden. Ich raste so schnell wie mein Herz schlug die Treppe hinunter, öffnete die Tür des Esszimmers, in dem meine Eltern saßen, und schrie: „Mami! Daddy! Ich glaube, ich sterbe!“ Die Wärme, das Licht und die Normalität des Esszimmers gaben mir bereits das Gefühl, ich sei ziemlich albern. Meine Eltern lachten über meine Furcht, nannten mich einen Angsthasen und schickten mich zurück ins Bett, wobei sie zum Schluss noch etwas sagten in dem Sinne, dass ich ein Quälgeist sei. In höchster Empörung beklagte ich mich: „ Ich hab’ mich doch nich’ ’boren!“ Die total verdutzten Gesichter meiner Eltern als Reaktion auf diese unerwartete Schlagfertigkeit meinerseits sind mir all die Jahre im Gedächtnis geblieben.
Natürlich brauchte ich nicht zu rätseln, woher die Babys kamen – ich wusste es. Gott erschuf Babys aus dem Nichts. Es war eine Tatsache, dass er sie in Brutkästen auf den obersten Krankenhausetagen – dem Himmel noch am nächsten – erscheinen ließ und die Krankenschwestern nahmen sie und brachten sie den Eltern. Gott ließ immer neue Babys erscheinen, und die Schwestern gaben sie immer weiter an Eltern, die sich ein Kind wünschten. Schließlich gingen Eltern ja eigens dazu ins Krankenhaus, oder etwa nicht?
Nachdem es Zeit fürs Bett war, saß ich oft noch gern im Schlafanzug auf den teppichbezogenen Treppenstufen, so tief geduckt wie ich nur konnte, damit mich niemand sah; so konnte ich mich der Wärme, dem Licht und der ersehnten Gesellschaft noch ein bisschen nahe fühlen. Ich hockte dann schläfrig auf der Treppe, bis ich jemand anderen kommen hörte, der sich nach oben zu Bett begab. Dann huschte ich in mein Zimmer und tröstete mich mit dem Gefühl der Nähe dieser Person. Dabei lernte ich, welche Stufen quietschten oder knarrten, wenn man darauf stand, was mir viel später noch sehr nützlich sein sollte, wenn ich mich heimlich aus dem Haus stahl.
Als ich noch das Nesthäkchen der Familie war, genoss ich bereits viel Aufmerksamkeit von unseren direkten Nachbarn, den protestantischen Buchanans. Deren alternde Haushälterin, Mrs Colhoun, erfreute mich regelmäßig mit wundervoll verpackten Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken. Bei diesen Gelegenheiten war ihr Sohn Scott dann dabei, und ihr hübscher Drahthaarterrier Pickles machte großes Freudentheater um mich. Es waren die liebsten Nachbarn, die man sich nur wünschen konnte.
Uns genau gegenüber wohnten die Moores, eine protestantische Familie, die ein großes Wohnungseinrichtungsgeschäft in der Stadtmitte besaß. Als Kind spielte ich zeitweise mit ihrem jüngsten Sohn Terence. Das ging mit Unterbrechungen jahrelang so. Die Moores fuhren oft am Wochenende nach Castlerock, einen Ferienort an der See, und nahmen als Spielgefährten für Terence Aodh O’Donnell mit, den Sohn von weniger wohlhabenden katholischen Nachbarn.
Die Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken waren freundlich und äußerst respektvoll. Ich hörte zuhause nie ein böses Wort über unsere protestantischen Nachbarn; es wäre auch ziemlich schwer gewesen, an irgendeinem von ihnen etwas auszusetzen zu finden, da die meisten so achtbar waren und ein unbescholtenes Leben
Weitere Kostenlose Bücher