The Walking Dead 2: Roman
Eilig stellt er sich neben sie und legt eine riesige Hand neben die ihre auf den Stiel der Axt. Sie hält sich daran fest, als ob ihr Leben daran hängt, und versucht weiterhin, das Werkzeug aus dem Boden zu ziehen. Seine Berührung ist sowohl zärtlich als auch besänftigend. »Lilly, alles wird gut«, versucht er, sie zu beschwichtigen.
Sie lässt den Griff los und starrt ihn an. Ihr Herz fängt heftig zu pochen an, als sie seinen Blick erwidert. Sie kriegt am ganzen Körper Gänsehaut. Sie will ihre Gefühle in Worte kleiden, wendet sich aber schließlich voller Scham ab. Endlich findet sie ihre Stimme wieder: »Josh, können wir irgendwo reden? Unter vier Augen?«
»Wie machst du das?«
Lilly sitzt im Schneidersitz auf dem Boden unter den kolossalen Ästen der Eichen um sie herum, die ihre Schatten auf den weichen Teppich herabgefallenen Laubs werfen. Sie lehnt sich gegen einen gewaltigen Stamm und starrt auf die im Wind hin und her schwingenden Baumwipfel.
Josh erkennt den Blick in ihren Augen, die ins Nichts gerichtet sind. Er kennt ihn von Kriegsveteranen und Personal der Notaufnahme – der Blick immerwährender Erschöpfung, unfokussiert, kaputt, aufgerieben. Josh verspürt das Verlangen, ihren zierlichen, schlanken Körper in die Arme zu nehmen und ihr durch die Haare zu streichen, um alles besser zu machen. Aber irgendwie spürt er, weiß er, dass es jetzt nicht an der Zeit ist. Jetzt muss er zuhören.
»Was denn?«, erkundigt er sich. Josh sitzt ihr gegenüber, ebenfalls im Schneidersitz, und wischt sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Nacken. Vor ihm liegt eine Schachtel Zigarren. Es sind seine letzten. Er zögert, will sie nicht anrühren. Da schwingt ein Touch Aberglaube mit, dass es sein Schicksal besiegeln würde.
Lilly hebt den Kopf und blickt ihn an. »Wenn die Zombies angreifen … Wie kommst du damit klar, ohne dir … Ohne dir in die Hose zu machen?«
Josh kichert erschöpft. »Sobald du weißt, wie das geht, musst du es mir beibringen.«
Sie starrt ihn ungläubig an. »Willst du mich etwa auf den Arm nehmen?«
»Was?«
»Willst du mir etwa erzählen, dass du Angst gehabt hast?«
»Klar doch.«
»Jetzt langt’s aber.« Sie neigt den Kopf zur Seite. »Du?«
»Ich will dir mal etwas sagen, Lilly.« Josh nimmt die Schachtel, schüttelt sie, nimmt sich eine Zigarre heraus, steckt sie mit seinem Zippo an und zieht genüsslich daran. »Nur Dumme oder Schwachsinnige haben dieser Tage keine Angst. Wenn man keine Angst hat, passt man nicht auf.«
Sie blickt auf die Reihe Zelte entlang des Zauns und stöhnt gequält auf. Ihr Gesicht ist abgehärmt, fahl. Sie macht den Eindruck, als ob sie über etwas nachdenkt, versucht, es in Worte zu kleiden, aber der Gedanke scheint sich schlichtweg zu weigern, in den Rahmen ihres Wortschatzes gezwängt zu werden. Schließlich: »Das macht mir schon länger zu schaffen. Ich bin nicht … Ich bin nicht stolz darauf. Im Gegensatz, es versperrt mir einfach so viel.«
Jetzt ist es an Josh, sie anzustarren: »Was denn?«
»Der Feigling-Faktor.«
»Lilly …«
»Nein. Hör mir zu. Das muss raus.« Sie weigert sich, seinem Blick zu begegnen. Die Scham brennt ihr in den Augen. »Ehe das alles angefangen hat, dieser Ausbruch … war es … es war einfach nur nervig. Ich habe mir selbst den Weg versperrt, einige Sachen nicht gemacht, weil ich so ein Schisser bin. Aber jetzt … Jetzt geht es um etwas … Ich weiß auch nicht, jemand könnte wegen mir sterben.« Dann schafft sie es endlich, dem großen Mann in die Augen zu schauen. »Vielleicht sogar jemand, den ich lieb gewonnen habe.«
Josh weiß genau, wovon sie spricht, und es kommt ihm vor, als ob sich eine Hand um sein Herz legt und zudrückt. Von dem Augenblick an, als er Lilly Caul das erste Mal zu Gesicht bekommen hat, verspürt er ein Gefühl, das er seinerzeit als Teenager in Greenville einmal erlebt hat. Es ist wie eine begeisterte Faszination. Er kommt sich vor wie ein Junge, der sich von dem Anblick ihres weiblichen Nackens nicht mehr losreißen kann, der vom Geruch der Haare, den Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken verzaubert ist. Ja, Josh Lee Hamilton hat es erwischt. Aber er darf es nicht zulassen, dass er diese Beziehung auch noch in den Sand setzt – wie er es mit so vielen vor Lilly gemacht hat. Aber das ist vor dem Ausbruch gewesen, ehe die Welt die Hoffnung verloren hat.
In Greenville hatte Josh sich mit beinahe beschämender Regelmäßigkeit verguckt und es immer wieder
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