The Walking Dead 2: Roman
ihre Lungen saugen zu können. Ständig liegt ihr der Geruch von Untoten in der Nase, und sie glaubt, Schlurfgeräusche hinter jedem Baum zu hören – die aber vielleicht auch nur das Echo ihrer eigenen, müden Schritte sind.
Endlich biegen sie in die Canyon Road ein, und Josh sagt: »Das eine will ich noch klarstellen: Hast du gesagt, dass du mich nur ausnutzt?«
»Josh, das habe ich nie …«
»Weil ich dich beschütze? Und das war es? Mehr Gefühle hast du für mich nicht?«
»Josh …«
»Oder … oder hast du gesagt, dass du nur nicht willst, dass ich nicht denke , dass du es tust?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Doch, Baby. So leid es mir tut, aber genau das hast du.«
»Das ist doch Schwachsinn.« Lilly steckt die Hände in die Taschen ihrer Cordjacke. Rauch, Asche und Dreck lassen das Material in der Spätnachmittagssonne in einem fahlen Grau erscheinen. »Ich will nicht mehr darüber reden. Ich hätte gar nicht erst damit anfangen sollen.«
»Nein!« Josh schüttelt langsam den Kopf und geht weiter. »So einfach kommst du mir nicht davon.«
»Was soll denn das schon wieder heißen?«
Er wirft ihr einen Blick zu. »Glaubst du, dass das mit uns nur so eine vorübergehende Sache ist?«
»Wie bitte?«
»Wie bei einem Zeltlager? Wir gehen nach den Sommerferien einfach nach Hause, haben unsere Unschuld verloren, und das war’s?« In seiner Stimme klingt eine Schärfe mit, die Lilly noch nie zuvor bei Josh Lee Hamilton vernommen hat. Sein tiefer Bariton bewegt sich am Rande der Wut, sein bebendes Kinn lässt den Schmerz erahnen, der ihn tief im Innersten erschüttert. »Du kannst doch nicht einfach eine solche Bombe legen und dann so tun, als ob nichts gewesen wäre.«
Lilly seufzt genervt auf, weiß nicht, was sie dazu sagen soll, und stapft weiter. Die Woodbury-Barrikade erscheint in der Ferne, dann das westliche Ende der Bauarbeiten, wo ein Bulldozer und ein kleiner Kran tiefe Schatten werfen. Die Arbeiter haben auf die harte Tour gelernt, dass Zombies – wie Fische – am liebsten in der Dämmerung beißen.
»Was zum Teufel soll ich denn sagen, Josh?«, fährt Lilly ihn schließlich an.
Er starrt zu Boden, geht weiter und grübelt. »Wie wäre es mit einer Entschuldigung? Dass du lange darüber nachgedacht hast, und du vielleicht nur Angst hast, dass du jemandem sehr nahe kommst, weil du nicht willst, dass du ihm wehtust, weil dir schon einmal wehgetan wurde. Und dass du alles zurücknimmst und mich genauso liebst wie ich dich? Wie wäre es damit?«
Sie starrt ihn an. Ihr Rachen brennt vor Rauch und dem erlebten Horror. Sie hat einen solchen Durst. Sie ist müde, durstig, verwirrt und hat Angst. »Und woher hast du die Idee, dass mir schon einmal wehgetan wurde?«
»Habe nur geraten.«
Sie lässt den Blick nicht von ihm ab. Jetzt schnürt Wut ihr den Magen zusammen. »Du kennst mich doch nicht einmal.«
Jetzt erwidert er ihren Blick. Seine Augen sind weit aufgerissen, drücken seinen Schmerz aus. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Wir sind jetzt seit – was – zwei Monaten zusammen? Wenn überhaupt. Ein paar Leute, die sich vor Angst in die Hose machen. Niemand kennt niemanden . Wir versuchen alle nur, das Beste daraus zu machen.«
»Du willst mich also auf den Arm nehmen. Nach all dem, was wir durchgemacht haben? Und ich soll dich nicht kennen?«
»Josh, so habe ich das nicht …«
»Du siehst mich also im gleichen Licht wie Bob und den Junkie? Megan und die Typen in der Zeltstadt? Bingham?«
»Josh …«
»Die ganzen Sachen, die du mir diese Woche ins Ohr geflüstert hast … Was soll das? Hast du etwa gelogen? Hast du all das nur gesagt, damit ich mich besser fühle?«
»Ich habe jedes Wort so gemeint«, murmelt sie leise. Die Schuld in ihr macht ihr zu schaffen. Für einen Moment erinnert sie sich an den grässlichen Moment, als sie Sarah Bingham verloren hat – wie die Untoten sich vor dem gottverlassenen Zirkuszelt über sie hergemacht haben. Die Hilflosigkeit. Sie war wie gelähmt gewesen, den ganzen Tag lang. Der Verlust, die Trauer, der Gram, so tief wie ein Brunnen. Und Josh hat recht. Lilly hat ihm so manches während ihrer nächtlichen Liebesakte ins Ohr geflüstert, das nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Auf irgendeine Art liebt sie ihn, sorgt sich um ihn, besitzt starke Gefühle für ihn … Aber sie projiziert etwas Krankes tief aus sich heraus, etwas, das mit Angst verbunden ist.
»Super, einfach super«, meint Josh Lee Hamilton
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