The Walking Dead: Roman (German Edition)
kleine Mädchen jemals wieder fröhlich erleben würde.
Einen Augenblick später sieht Brian Blake aus dem Augenwinkel, wie sich etwas auf der anderen Seite der Raststätte zwischen den Picknicktischen bewegt. In hundert Meter Entfernung, hinter der Raststätte inmitten der zerfallenen Grabsteine mit ihren verblassten Inschriften und kaputten Plastikblumen braut sich etwas zusammen.
Brian starrt auf die drei Gestalten in der Ferne, die jetzt aus dem Schatten der Bäume treten. Unsicher stolpern sie auf Brian und die anderen zu – wie träge Bluthunde, die ihre Beute aufgespürt haben. Es ist schwer, es aus dieser Entfernung genau einzuschätzen, aber ihre Kleider machen den Anschein, als ob sie aus Versehen in einen Mähdrescher geworfen worden wären. Ihre Münder stehen in immerwährender Qual offen.
»Zeit, dass wir uns auf die Socken machen«, meint Philip locker und läuft zum Spielplatz. Sein Gang ist schwer und hat etwas beinahe Mechanisches an sich.
Brian eilt ihm hinterher. Plötzlich drängt sich ihm der Gedanke auf, dass sein Bruder, dessen muskulöse Arme an den Seiten herabhängen und auf dessen Schultern die Sorgen der Welt zu lasten scheinen, beinahe selbst ein Zombie sein könnte.
Sie fahren und fahren. Hauptsache weg von Atlanta. Immer wieder kommen sie an kleinen Städtchen vorbei, die so still in der Landschaft liegen, als ob sie Modellbauten in einem Museum wären. Das blaue Licht der Abenddämmerung zieht seinen Schleier über den bewölkten Himmel, und der Wind schlägt eiskalt gegen ihr Visier, während sie Autowracks und menschenleeren Wohnwagen ausweichen. Sie befinden sich noch immer auf dem Highway 85. Brian überlegt. Sie müssen bald ein Nachtquartier suchen.
Auf dem Sitz hinter Nick hat Brian mit tränenden Augen und dröhnenden Ohren vom Rauschen des Windes und dem Geräusch des Doppelnockenwellenmotors der Harley genügend Zeit, sich die perfekte Bleibe für den erschöpften Reisenden im Land der Toten vorzustellen. Er träumt von einer riesigen Festung mit Gärten und Wachtürmen. Er würde seine linke Hand für ein Steak mit Pommes geben. Oder für eine Flasche Cola. Selbst ein Stück des Fleisches, das die Chalmers immer aufgetischt haben …
Etwas spiegelt sich auf der Innenseite seines Visiers wider und reißt ihn abrupt aus den Gedanken.
Er wirft einen Blick über die Schulter.
Merkwürdig. Für einen winzigen Augenblick verspürte er etwas in seinem Nacken – flüchtig wie ein Kuss kalter Lippen. Es passierte genau im selben Moment, in dem er einen dunklen Punkt über sein Visier huschen sah. Vielleicht bildete er es sich nur ein, aber er glaubt, auch etwas im Seitenspiegel gesehen zu haben – und zwar kurz bevor Nick nach Süden lenkte.
Er wirft erneut einen Blick nach hinten, sieht aber nichts als die leere Straße, die sich durch die Landschaft schlängelt und hinter einem Wäldchen verschwindet. Er zuckt mit den Achseln und widmet sich erneut seinen Fantasien.
Sie fahren immer tiefer ins Hinterland, bis sie an kaputten Farmhäusern und wilden Landstrichen vorbeikommen. Die sanfte Hügellandschaft mit ihren Bohnenfeldern fällt nach links und rechts ab. Das hier ist alte Erde – prähistorisch, müde und über Generationen hinweg zu Tode bewirtschaftet. Die Überreste alter Maschinen liegen überwachsen tief im Morast der Felder.
Die Dämmerung weicht langsam der Nacht, und das Grau des Himmels verfärbt sich zu einem tiefen Indigoblau. Neunzehn Uhr. Brian hat die Sache mit der Spiegelung in seinem Visier inzwischen vergessen. Sie müssen sich langsam um eine Unterkunft kümmern. Philip schaltet sein Licht ein. Das Motorrad wirft einen silbrigen Strahl auf die länger werdenden Schatten.
Brian will den anderen gerade Bescheid geben, dass sie nicht mehr viel Zeit haben, um etwas zu finden, aber Philip kommt ihm zuvor. Er gibt ein Handzeichen, ehe er nach rechts deutet. Brians Blick folgt der Geste nach Norden, und er sieht, worauf es sein Bruder abgesehen hat.
In der Ferne vor den Hügeln kann man die Silhouette eines Hauses erkennen. Es ist noch so klein, dass es wie aus Papier gemacht aussieht. Wenn ihn Philip nicht darauf aufmerksam gemacht hätte, wäre es Brian nicht aufgefallen. Jetzt aber weiß er, warum es Philip darauf abgesehen hat. Es scheint eines dieser alten Häuser aus dem neunzehnten Jahrhundert, vielleicht sogar aus dem achtzehnten Jahrhundert zu sein – wahrscheinlich das ehemalige Herrenhaus einer Plantage.
Erneut bemerkt Brian
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